Streit um gutes Fernsehen

Frontalangriff auf eine fast 100 Jahre alte britische Ikone: Die Regierung des von Skandalen schwer bedrängten Premierministers Boris Johnson stellt die Finanzierung der BBC in Frage. Die Rundfunkgebühr für den berühmtesten öffentlich- rechtlichen Sender der Welt werde für die kommenden zwei Jahre eingefroren und spätestens 2027 ganz abgeschafft, teilte Kulturminister Nadine Dorries am Montag dem Unterhaus mit. Zukünftig würden alte Leute nicht mehr „mit Gefängnisstrafen bedroht und von Gerichtsvollziehern drangsaliert“.

Wie gewohnt war die Attacke auf den Sender, den viele Konservative als zu liberal wahrnehmen, vorab an die Medien durchgestochen worden. Dorries bestätigte die Nachricht am Sonntag auf dem Kurznachrichten-Netzwerk Twitter und überraschte damit offenbar die BBC-Spitze um den Generaldirektor Tim Davie sowie die Regierungszentrale in der Downing Street.

Die seit Monaten andauernden Verhandlungen mit der Regierung seien „noch nicht abgeschlossen“, verbreiteten die Sender-Verantwortlichen noch am Montagmorgen. Das stimmt formal insofern, als das Regierungsvorhaben vom Unterhaus abgesegnet werden muss.

Feindseligkeit gegenüber der BBC

Dorries zählt zu Johnsons engsten politischen Verbündeten; die Berufung der ausgebildeten Krankenschwester und Autorin populärer Groschenromane zur Kulturministerin kam im September für Freund und Feind überraschend. Wie der Premierminister selbst hat auch Dorries an ihrer Feindseligkeit gegenüber dem weltweit anerkannten Rundfunksender nie einen Zweifel gelassen. Auf dem Tory-Parteitag im Oktober attackierte sie „das Gruppendenken“ und einen „Mangel an Objektivität“ in der BBC und verwahrte sich ausdrücklich gegen ein kritisches Interview mit dem Premierminister.

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Dessen zuletzt heftig schlingernde Stellung nach andauernden Enthüllungen über Lockdown-Partys in der Dowing Street dürfte Dorries’ Mitteilung beschleunigt haben. So behaupten es jedenfalls eine Reihe der Londoner Medien: Mit der „Operation rohes Fleisch“ (operation red meat) solle das Parteivolk, insbesondere aber die Parlamentsfraktion, ruhiggestellt und von Johnsons Skandalen abgelenkt werden.

Außer dem bei Torys stets beliebten BBC-Bashing gehören dazu auch der realitätsfremde Plan, Alkohol aus der Downing Street zu verbannen, sowie die alberne Ankündigung, die Royal Navy werde im Ärmelkanal den Kampf gegen Migranten-Schlauchboote aufnehmen.

Harte Konkurrenz durch Netflix und Co.

Dass auf die BBC politisch schwere Zeiten zukommen, stand seit Johnsons Amtsantritt im Juli 2019 fest. Kommerziell hat es „Tantchen Beeb“, wie die Institution liebevoll genannt wird, ohnehin von Tag zu Tag schwerer, dafür sorgen steinreiche US-Firmen wie Amazon und Netflix, die mit ihren hochwertigen Serien und Filmen vor allem bei jungen Leuten punkten können.

Hingegen wird das Publikum herkömmlicher TV-Sender immer älter. Das führt zu einer geringeren Akzeptanz der jährlichen Rundfunk-Gebühr von derzeit 159 Pfund (190,21 Euro) pro Haushalt. Zu diesen garantierten Einnahmen gesellten sich in den letzten Jahren schöne Summen – bis zu einem Viertel des Gesamtbudgets von zuletzt 6,06 Mrd. Euro – aus dem weltweiten Verkauf populärer Programme wie „Top Gear“ oder David Attenboroughs „One Planet“.

Auf zunehmende Kommerzialisierung neuer BBC-Inhalte scheint die Ministerin zu setzen. Man müsse jetzt über neue Wege diskutieren, wie „großartige britische Inhalte“ finanziert, unterstützt und verkauft werden könnten. Dorries’ Pläne stießen bei der konservativen Fraktion keineswegs nur auf Gegenliebe, vielen Abgeordneten war das „Fleisch“ nicht roh genug. Er sei „bitter enttäuscht“ darüber, dass die Rundfunkgebühr nur für zwei Jahre eingefroren werden solle, sagte Julian Knight, Vorsitzender des Kultur-Ausschusses im Unterhaus.

Hingegen schlug dem Vorhaben der Regierung eine Welle von Kritik von Liberalkonservativen und Kulturgrößen entgegen. Der frühere Vizepremier David Lidington erinnerte daran, dass die neue Sicherheitsdoktrin erst im vergangenen Jahr die Rolle der BBC als entscheidenden Beitrag zur „soft power“ des Königreichs hervorgehoben hatte: Man könne nicht dauernd vom „globalen Britannien“ schwärmen und dann eine britische Institution mit internationaler Reputation kaputtreden.