Was kann man dem Hass auf Juden entgegensetzen?

Remko Leemhuis ist Direktor und Ruben Gerczikow ist Associate Policy beim American Jewish Comittee Berlin.

München 1970, Erlangen 1980, Frankfurt 1992 und Düsseldorf 2000. Vier verschiedene Städte in der Bundesrepublik Deutschland, vier unterschiedliche Jahrzehnte. Und doch hängen diese vier Orte auf tragische Art zusammen. Und obwohl sie in einem tödlichen Zusammenhang stehen, erhalten diese vier Daten nur wenig Aufmerksamkeit.

Am 13. Februar 1970 werden die Shoa-Überlebenden Rivka Regina Becher, Meir Max Blum, Rosa Drucker, Arie Leib Leopold Gimpel, David Jakubovicz, Siegfried Offenbacher und Eliakim Georg Pfau bei einem Brandanschlag auf das jüdische Altenheim in München ermordet. Am 19. Dezember 1980 werden der Rabbiner Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke vor ihrem Haus in Erlangen von einem Neonazi erschossen. Die Shoa-Überlebende Blanka Zmigrod wird am 23. Februar 1992 von einem schwedischen Rechtsterroristen auf offener Straße in Frankfurt am Main durch einen Kopfschuss ermordet. Und bei einem Sprengstoffanschlag am 27. Juli 2000 am Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn werden dutzende Menschen lebensgefährlich verletzt, eine schwangere Frau verliert dadurch ihr ungeborenes Kind.

Bis heute haben diese Namen und Anschläge wenig Platz im öffentlichen Gedenken oder in der Diskussion über antisemitische Gewalt nach 1945, sie sind weitgehend unbekannt. So unterschiedlich die Taten sind, so verbindet sie doch, dass in allen Fällen Antisemitismus als Motiv nicht ausgeschlossen werden kann oder als einziges Motiv in Frage kommt, dem aber in keinem dieser Fälle juristisch nachgegangen wurde beziehungsweise in einigen Fällen die Täter nie ermittelt wurden. Am heutigen 30. Jahrestag der Ermordung von Blanka Zmigrod ist es daher nicht nur wichtig, an ihr Schicksal zu erinnern, sondern ebenso an die blutige Kontinuität antisemitischer Gewalt in der Bundesrepublik.

Eine Chronik dieser Gewalttaten fehlt

Die damals 68-jährige Blanka Zmigrod wurde am 23. Februar 1992 in Frankfurt am Main überfallen und ermordet. Ihr Mörder flüchtete mit ihrer Handtasche auf einem Fahrrad. Der schwedische Rechtsterrorist hatte bereits zwischen 1991 und 1992 in seinem Heimatland aus rassistischen Gründen auf elf Personen geschossen und dabei den Studenten Jimmy Ranjba getötet. Seine Taten gelten als Vorbild für die Morde des sogenannten NSU und auch der Rechtsterrorist von Oslo und Utøya bezeichnete ihn vor Gericht als Vorbild.

Obwohl der Täter Blanka Zmigrod bereits vor der Tat während ihrer Arbeit als Garderobenfrau im Restaurant Mövenpick rassistisch beleidigt hatte und sie dabei anhand ihrer KZ-Tätowierung als Jüdin erkennbar gewesen sein könnte, wurden diese Umstände nicht in der Urteilbegründung berücksichtigt. Als er schließlich 2018 in Frankfurt zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, sah das Landgericht lediglich Habgier als Motiv. Eine politische Bewertung der Tat fand bis heute nicht statt.

Die genannten Fälle sind nur ein kleiner Ausschnitt der Kontinuität antisemitischer Gewalt über die vergangenen Jahrzehnte. Es ist dem Journalisten und Autor Ronen Steinke zu verdanken, der sich in seinem 2020 erschienen Buch „Terror gegen Juden“ erstmals darum bemüht hat, überhaupt eine Chronik dieser Gewalttaten zu erstellen.

Ein fester Bestandteil unserer postnazistischen Gesellschaft

So wichtig das Buch und die akribische Recherche von Steinke ist, wäre es doch die Aufgabe der hiesigen Antisemitismusforschung, diese Arbeit zu leisten. Bedauerlicherweise ist sie dieser Aufgabe bisher nicht oder nur ungenügend nachgekommen. So fehlt beispielsweise bis heute eine Chronik über die Schändung jüdischer Friedhöfe. Dabei geht es nicht alleine darum, diese Taten zu dokumentieren – verweist doch gerade diese Straftat auf ein Kernelement des Antisemitismus: Selbst die Gestorbenen werden noch über ihren Tod hinaus verfolgt und sollen nicht zur Ruhe kommen. Zweifellos hängt einer der Gründe für diese weitgehende Nichtbeschäftigung mit antisemitischer Gewalt auch damit zusammen, dass die Antisemitismusforschung hierzulande immer noch primär innerhalb der Geschichtswissenschaft angesiedelt ist.

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Ebenso lässt sich hierzulande auch ein gesamtgesellschaftlich fehlendes Verständnis für die Verbreitung und Kontinuität antisemitischer Einstellungen feststellen. Die empirische Sozialforschung kommt seit Jahrzehnten zu den Ergebnissen, dass rund 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung mehr oder weniger deutlich antisemitischen Aussagen zustimmen. Gleichsam beobachten wir, besonders mit dem Beginn der Pandemie, dass die Grenze des Sagbaren konstant verschoben und Judenhass immer offener geäußert wird. Komplementär dazu wurden im Jahr 2021 laut dem Bundesministerium des Innern 3028 antisemitische Straftaten gezählt – ein neuer Höchststand.

Wenn wir also über Antisemitismus in diesem Land sprechen und ihm ernsthaft begegnen wollen, dann muss zunächst anerkannt werden, dass er nie verschwunden war und bis heute ein fester Bestandteil unserer postnazistischen Gesellschaft ist. Wir müssen endlich ebenso ernsthaft darüber reden, dass antisemitische Gewalt, wie auch rassistische, in einem gesellschaftlichen Klima gedeiht, wo die Täterinnen und Täter sich nicht nur sicher fühlen und zumindest auf stille Zustimmung eines nicht unerheblichen Teils der Bevölkerung spekulieren, sondern sich als Vollstrecker dieser Einstellungen verstehen.

Mit der gebotenen Härte des Rechtsstaates begegnen

Daher wäre es wichtig, antisemitischen Demonstrationen und Manifestationen endlich mit der gebotenen Härte des Rechtsstaates zu begegnen. Seien es die sogenannten Corona-Proteste oder antisemitische Demonstrationen gegen Israel wie im Mai vergangenen Jahres. Die juristische Verfolgung von Antisemitismus kann nur ein Mittel sein, da antisemitisches Denken an sich nicht strafbar ist. Hier braucht es eine starke Zivilgesellschaft, die Antisemitismus unabhängig von der Richtung benennt und verurteilt.

Angesichts dieses Umgangs mit antisemitischer Gewalt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist es daher ebenso kaum verwunderlich, dass in den jüdischen Gemeinden hierzulande wenig Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und Justiz besteht. Hier muss endlich ein grundlegender Kulturwandel stattfinden. Von der Aufnahme der Anzeige bis zur Gerichtsverhandlung muss den Opfern antisemitischer Straftaten nicht nur das Gefühl gegeben werden, dass man ihnen glaubt, wenn sie die Motivation der Täter benennen, sondern dies muss sich auch in den Urteilsbegründungen wiederfinden.

Es ist schlicht inakzeptabel, dass im Deutschland des Jahres 2022 Jüdinnen und Juden überhaupt überlegen müssen, ob sie zur Polizei gehen. Um das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden weiter zu stärken, ist es ebenso dringend notwendig, dass diese gegen Rechtsextremisten und Neonazis in ihren Reihen vorgehen.

Auch wenn natürlich die überwiegende Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten über jeden Zweifel erhaben ist, so kann die Antwort gerade nach den Entdeckungen von rechtsextremistischen Netzwerken in den letzten Jahren nicht mehr sein, dass es sich lediglich um „Einzelfälle“ handele. Dieses harte Durchgreifen ist auch deswegen so dringend geboten, da die jüdischen Gemeinden und Institutionen in diesem Land auf den Schutz durch die Polizei angewiesen sind und – von diesem Leben abhängen.