Tierkostüme, Marionetten und ein Tritt in den Hintern
Die Tierkostüme liegen ziemlich schlapp auf dem Boden: ein Krokodil, eine Giraffe, ein Einhorn. Und das schon seit vielen Jahren. Nur ein einziges Mal wurden sie getragen, 1997, als Peter Friedl eine Ausstellung im Musée des Beaux Arts in Brüssel hatte und die Museumsangestellten bat, sich daran zu erinnern, welches Tier sie als Vierjährige am liebsten gewesen wären. Bei der Vernissage mischten sie sich entsprechend verkleidet unter das Publikum. Ein Spaß?
Bei Peter Friedl weiß man das nie so genau. Auch wenn Kinder und Kostüme häufig in seinen Arbeiten vorkommen, meint es der Konzeptkünstler doch verdammt ernst mit seinen Betrachtungen der Welt. Wann immer Krokodil, Giraffe, Einhorn wieder in einer Ausstellung von ihm auftauchen, sind sie nur noch als Hülle zu sehen, nicht mehr als Einladung sich zu kostümieren – eine eher traurige Angelegenheit. Friedl schafft mit seinen Installationen gedankliche Ausgangssituationen, Was-wäre-wenn-Szenarios und versucht auf diese Weise, ebenso hypothetisch wie präzise das Leben zu vermessen.
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In den Kunst-Werken stößt der Besucher als erstes auf drei Vitrinen. In ihnen liegen akkurat sämtliche Tagebücher aufgestapelt, die der seit Anfang der 1990er Jahre in Berlin lebende Österreicher gefüllt hat. Tausende Seiten bleiben zugeklappt und bilden geradezu ein biographisches Monument.
Der Künstler will sein Publikum in Unruhe versetzen
„The Diaries“ werde auch Friedls letztes Werk sein, ist Krist Gruijthuijsen überzeugt, der Ausstellungskurator und Direktor des Institute for Contemporary Art in der Auguststraße. Diese Vorstellung hat für jeden etwas Beunruhigendes, auch wenn es nicht einmal um die eigene Endlichkeit geht. Aber an genau diesen Punkt möchte Friedl sein Publikum dirigieren: in Unruhe versetzt.
Der 61-Jährige entwickelt mit Vorliebe theatrale Situationen, um das Vorstellungsvermögen des Betrachters zu aktivieren. Vier meisterlich gefertigte Marionetten hängen an langen Fäden inmitten eines Lichtkegels in der großen Kunst Werke-Halle: en miniature Toussaint Louverture, ein Anführer der Haitianischen Revolution, der Automobilmagnat Henry Ford, Giulia Schucht, die Ehefrau des Philosophen Antonio Gramsci, und John Chavafambira, ein afrikanischer Heiler, der 1937 bei Wulf Sachs als „Black Hamlet“ zur Romanfigur wurde. Was könnten die Vier sich zu sagen haben, würden sie auf einer Bühne zum Leben erweckt? Ein imaginärer Dialog beginnt sich im Kopf zu entspinnen.
Auf der Documenta ließ er Kafkas „Bericht für eine Akademie“ vortragen
Friedl schafft Konstellationen, die wie eine russische Babuschka funktionieren. Im Inneren der hölzernen Puppe gibt es immer noch eine weitere. So ließ er bei der letzten Documenta nacheinander 24 Laiendarsteller auf der Bühne des griechischen Nationaltheaters in Athen auftreten und in einer Sprache ihrer Wahl Kafkas „Bericht für eine Akademie“ vortragen. Darin spricht ein Affe über seine Menschwerdung, den Prozess seiner Anpassung. Schon Kafkas Erzählung ist eine hochkomplexe Parabel. Doch Peter Friedl trieb sie noch weiter voran, indem er Migranten, die erst kürzlich nach Griechenland gekommen waren, als Protagonisten auswählte. Sie sprechen Arabisch, Englisch, Kisuaheli, Kurdisch, nur nicht Deutsch, die Sprache, in der Kafka sein Stück verfasste. „Report“ gilt Friedl selbst als eine seiner wichtigsten Arbeiten, sie steht im Zentrum seiner Werkschau, der bisher umfassendsten in Deutschland. „Report 1964 – 2022“ lautet auch der Titel seiner Retrospektive.
Wie einfach, witzig, ja grob war noch das zwanzig Jahre zuvor von ihm inszenierte Gleichnis, als Friedl erstmals Gast der Documenta war. Drei weitere Male wurde er wieder eingeladen. 1997 bestand sein Beitrag aus einem Kurzfilm, der ihn beim vergeblichen Versuch zeigt, in einer Kasseler Unterführung Zigaretten aus einem Automaten zu ziehen.
Die Spirale der Frustration dreht sich immer weiter
Wütend tritt er dagegen und bekommt selbst kurz darauf einen Hinterntritt von einem Bettler, als er sich weigert, ihm Geld zu geben. Die Frustrationsspirale dreht sich weiter, sie wird existenziell: vom Genussmittel zum Lebensunterhalt, vom Apparat zum Menschen. Bei Friedl beginnt das bizarre Schauspiel kurz darauf von vorn.
An dem Konzeptkünstler ist ein Soziologe verloren gegangen. Statt Erhebungen, wissenschaftlicher Analysen findet er Bilder. Was sagen exemplarische Behausungen über eine Gesellschaft aus? Zwischen 2012 und 2019 baute Friedl maßstabsgetreu zwölf Wohnbauten nach, angefangen mit dem eigenen Elternhaus über Ho Chi Minhs Privatresidenz bis zu einem Geflüchtetenlager in Jordanien. Wieder nimmt der Künstler die Kinderperspektive ein, sind es doch nur Modelle, mit denen sich spielen ließe.
Im Film ist plötzlich ein weißer Cop das Opfer
Manchmal lässt sich die Realität auch erst in Form eines Reenactment unter umgekehrten Vorzeichen erfassen. Der Film „Liberty City“ greift die Tötung eines Schwarzen Motorradfahrers 1979 in Liberty City, Miami, durch weiße Polizisten bei einer Verkehrskontrolle auf. Nach deren Freispruch fünf Monate später explodierte die Gewalt. Friedl stellte die Szene aus Sicht eines Augenzeugen nach, nur ist nun ein weißer Cop das Opfer.
[Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 1. 5.; Mi bis Mo 11 – 19 Uhr, Do bis 21 Uhr.]
Tierkostüme, Marionetten, Hausmodelle – der Berliner Künstler hält ein ganzes Instrumentarium bereit, um mit scheinbar leichter Hand kulturelle Codes, politische Determinationen aufzudecken. Wer die Rollen tauscht, eine andere Größe annimmt, sich auf den Spielplatz begibt (seit 26 Jahren fotografiert Friedl sie auf der ganzen Welt) hat bei diesem Regisseur die Chance auf Erkenntnisgewinn. Vorhang auf.