Die Zigarette nach dem Krieg
Ganz entspannt sitzen die beiden Schwestern nebeneinander, die Hände auf den Knien, den Kopf nach rechts gewandt. Die alten Damen tragen bunte Kopftücher, hinter ihnen an der Wand hängen Ikonen, geschmückt mit bestickten Schals. Auch die Decke, auf der sie sitzen, ist bestickt, ein Produkt langer Winterabende in den Karpaten. Der ukrainische Fotograf Ruslan Hrushchak, der seit 2000 in Leipzig lebt, hat seine beiden Tanten für dieses Foto zusammengebracht. Einmal im Jahr treffen sie sich und erzählen einander, was inzwischen passiert ist.
Sein Bild ist in der Ausstellung „Beyond the Road“ in der Berliner Galerie Buchkunst zu sehen. Hrushchak, Absolvent der Ostkreuzschule, zeigt Aufnahmen aus den Jahren 2010 bis 2020. Entstanden sind sie, nachdem der Fotograf in Deutschland eine Familie gegründet hatte und sich fragte, wie er seinen Kindern seine Heimat Ukraine nahebringen könne. Es sind ruhige, oft privat und intim wirkende Fotos, in denen sich auch die Aufbruchstimmung in einem sich verändernden Land zeigt.
[Buchkunst Berlin, Oranienburger Str. 27, bis 18. Juni. Die Ausstellung ist um 20 Fotos erweitert noch bis zum 30. Juni auch online zu sehen. Am 8. Juni findet von 18 bis 19 Uhr eine online-Führung statt.
Eine Szene mit Eisfischern in Kiew wirkt wie aus der Zeit gefallen, wären da nicht die neugebauten Hochhäuser, die am Horizont aufragen. Ein Mann, der in Lwiw mit antiquarischen Büchern handelt, steht in seiner Küche mit einem rustikalen blauen Ofen, daneben der neue Herd, Zeichen des Fortschritts. Ein anderer Mann saugt in einem Vorort von Kiew gierig an einer Zigarette. Es ist seine erste Zigarette nach der Rückkehr von der Front am Donbass. Dort begann der Krieg 2014, seine Anwesenheit ist latent zu spüren.
Zwei Frauen schlafen im Zug, das Fenster gibt den Blick auf eine malerisch weite Landschaft frei. Kinder spielen auf einer Straße, die nach Transkarpatien führt, eine friedlich Szene. Allerdings kommen einem die Mietskasernen in Hrushchaks Heimatdorf Drohobytsch seltsam vertraut vor. Ähnliche Häuser sind jetzt tagtäglich in den Nachrichten zu sehen, sie haben leere schwarze Fensterhöhlen und zerbombte Fassaden. Hrushchaks unspektakuläre Alltagsszenen gleichen einer Zeitkapsel. Sie konservieren eine Ukraine, die es so nicht mehr gibt, und zeigen Menschen, die Hoffnungen auf ein besseres Leben hatten.