Die Berlinale und andere Debakel: Ist Kulturstaatsministerin Claudia Roth jetzt schon gescheitert?
Der Documenta-Skandal, die verschleppte Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Verschlimmbesserung des Museums der Moderne – und jetzt der Berlinale-Schlamassel: In ihrer gut 20-monatigen Amtszeit kommt Claudia Roth aus den Negativschlagzeilen nicht heraus.
Nun muss die Staatsministerin für Kultur und Medien auch noch erleben, dass die internationale Prominenz der Filmkunst gegen sie protestiert. „Schädlich und unprofessionell“ sei ihr Umgang mit Berlinale-Chef Carlo Chatrian, der nach Roths Beschluss, die Doppelspitze mit ihm als künstlerischem Leiter beenden, seinen Weggang nach dem Festival 2024 angekündigt hat. Das gab es noch nie: dass deutsche Kulturpolitik derart harsch von Stars aus aller Welt kritisiert wird.
Zu den mittlerweile mehr als 400 Unterzeichnenden des Offenen Briefs zählen neben Martin Scorsese, Paul Schrader, Kristen Stewart, Claire Denis und Tilda Swinton auch die Goldbären-Gewinner Radu Jude und Ildikó Enyedi sowie Venedigs Festivalchef Alberto Barbera. Auch aus Deutschland sind mit Margarethe von Trotta, Ulrike Ottinger, Maren Ade, Christian Petzold oder Andreas Dresen große Namen dabei.
Am Mittwochabend hatte die 68-jährige Kulturpolitikerin zur Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals in Berlin erneut die Freiheit und Vielstimmigkeit der Künste beschworen. Das ist ihre Stärke, die mitreißende Rede. Sie wolle „die Kunstfreiheit wie eine Löwin verteidigen“, hatte sie 2022 im Tagesspiegel gesagt.
Roth engt die Vielfalt ein
Inzwischen klingt das nach Selbstinszenierung, nicht nach Tatkraft. In der Demokratie bedeutet Kulturpolitik, dass sie sich von den Inhalten fernhält und den Künsten einen Rahmen bereitstellt. Die Freiheit verteidigen, heißt, den Rahmen nicht einzuengen und den Freiraum auch in finanziell schwieriger Lage zu verteidigen
Alleine die Vielfalt der Berlinale verringerte Roth jedoch schon, indem sie das Festival mit den allgemeinen Kostensteigerungen im Frühjahr alleinließ. Nach dem Motto, schaut, wie ihr klarkommt, besorgt euch mehr Sponsoren. Weiß ihre Behörde, dass Sponsoren sich krisenbedingt weltweit zurückziehen? Das Filmfest Toronto, das mit der Berlinale um den Titel des weltgrößten Publikumsfestivals konkurriert, hat nach 29 Jahren gerade seinen Hauptsponsor verloren.
Das Debakel setzte sich damit fort, dass die seit Sommer 2019 amtierende Doppelspitze auf die Finanznot nicht mit Protest und der Suche nach Mitstreitern reagierte, sondern erhebliche Programmkürzungen beschloss. Vielleicht rührt die defensive Haltung auch daher, dass Claudia Roth nach der Ankündigung von Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek, ihren Vertrag 2024 nicht zu verlängern, auch in der Personalfrage nichts unternahm.
Ganze fünf Monate ließ sie verstreichen, bis sie vergangene Woche die Rückkehr zur (im Festivalbusiness längst obsoleten) Generalintendanz bekannt gab und klarmachte, dass Chatrian als alleiniger Chef nicht infrage kommt. Sie überließ es Chatrian, seinerseits in einer persönlichen Erklärung kundzutun, dass er geht – was Roth postwendend bedauerte.
Personalführung? Wertschätzung? Chatrian ist kein Heilsbringer, seine Programmreform mit der Einführung des Encounters-Wettbewerbs schwächte den Bären-Wettbewerb und grub der Forums-Sektion als renommierter Arthouse-Plattform das Wasser ab. Aber wie immer man seine Kuratorentätigkeit auch bewerten mag, derart schlechte Umgangsformen seitens der Dienstherrin ziemen sich nicht.
Claudia Roth beschädigt die Berlinale auch perspektivisch. Der Druck, unter dem die Nachfolge jetzt binnen weniger Monate geregelt werden muss, ist immens. Die Suche und die Verhandlungen mit geeigneten Kandidat:innen brauchen Zeit. Diese Zeit hat Roth verspielt, und den Ruf des Festivalstandorts gleich mit. Auf die Kulturstaatsministerin ist die Filmwelt gerade äußerst schlecht zu sprechen.
Aussitzen kann eine geschickte Strategie in der Politik sein, auch wenn die Methode immer streitbar war, siehe Angela Merkel. Wieso mischt sich die Medienstaatsministerin beim teils bereits erfolgten, teils drohenden Kahlschlag bei den Kultur-Wellen der öffentlich-rechtlichen Sender nicht ein? Selbst der PEN hat sich bereits zu Wort gemeldet. Meinungsfreiheit und Stimmenvielfalt: Menschenrechtlerin Roth formuliert dazu sonst gerne flammende Appelle.
Die verschleppte SPK-Reform
Bei der Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verhält sie sich ebenfalls weitgehend passiv. Die bereits unter Roths Amtsvorgängerin Monika Grütters entwickelten Ideen – Bündelung der Verwaltung, mehr Eigenverantwortung für die 16 Staatlichen Museen Berlins – wurden im Dezember zwar vom Stiftungsrat abgesegnet. Aber die für eine dauerhafte Flexibilisierung notwendige Gesetzesänderung (um den geringfügig beteiligten Bundesländern das viel zu große Mitspracherecht zu kappen) ist nichtmal angeschoben. Erst 2024 soll ein Finanzierungskonzept vorgelegt werden, bis dahin geschieht: nichts. Möchte Roth die Probleme bei der SPK lieber stapeln, so wie bei der Berlinale? Bald stellt sich nämlich auch die Nachfolgefrage: Stiftungspräsident Hermann Parzinger erreicht 2025 das Rentenalter.
Lieber ließ die Kulturstaatsministerin einen Testballon zu einer möglichen Umbenennung der Preußen-Stiftung steigen. Namen gesucht! Schönes Debattenthema, als Ablenkungsmanöver hat es gut funktioniert. Und das Humboldt Forum, soll es unters Dach der SPK? Auch darüber denkt sie nach, auch das sorgt für Diskussionen. Aber wird in Roths Behörde gemeinsam mit dem Land Berlin, das vielleicht aus dem Schloss ausziehen soll, konkret an Strukturreformen gearbeitet?
Bei der Inschrift auf der Kuppel des Humboldt Forums bleibt übrigens auch alles beim Alten. Für die Bibelzitatcollage, die einen christlichen Unterwerfungsanspruch formuliert, hatte Roth kein Verständnis, auch nicht für das Kreuz auf der Kuppel. „Da will ich ran“, sagte sie vor eineinhalb Jahren. Dann wurde geprüft. Geschehen ist: wieder nichts. Anfang Juli wurde publik, dass das auch von Roth begrüßte LED-Kunstprojekt, bei dem die Collage wenigstens nachts mit anderen Zitaten überblendet werden sollte, aus Kostengründen nicht realisiert werden kann. Es fehlen maximal 400.000 Euro. Dass Roth mit ihrem Temperament für diese kleine Summe mit großer Wirkung geworben hätte, war nicht zu vernehmen.
Claudia Roths bisherige Bilanz verheißt nichts Gutes für ihre nächsten Baustellen. Beim Museum der Moderne am Berliner Kulturforum explodieren die Kosten, bei der schlechten Klimabilanz des Entwurfs von Herzog & de Meuron wurde mit Solarpaneelen und ästhetisch fragwürdigen Fassadenklinkern nachgebessert. Dem Riesenprojekt einer Radikalreform der staatlichen Filmförderung hat sie bislang immerhin engagiert das Wort geredet. Aber wer glaubt noch, was die Kulturstaatsministerin sagt?