Zlata Chochieva beim Berliner Klavierfestival: Spiel auf Leben und Tod
Die sensible Seite von Sergej Rachmaninow kommt im zweiten Teil der Hommage des Berliner Klavierfestivals zum 150. Geburtstag des Komponisten zu Wort. Zlata Chochieva, hoch gelobt für ihre Gesamtaufnahme der „Études-Tableaux“, bietet eine ganz persönliche Programmzusammenstellung, die weniger Bekanntes einschließt.
In ihrer Sammlung von Préludes fehlen Publikumsrenner wie die triumphale Nr. 2 in B-Dur oder das rhythmisch mitreißende g-Moll-Stück aus op. 23. Ihre zweifelsfrei stupende Virtuosität setzt die junge Russin, zu deren Mentoren der „Klangmagier“ Mikhail Pletnev gehört, zunächst zurückhaltend ein.
Sie spielt sich frei im melancholisch-spannungsvollen fis-Moll von op. 23 Nr. 1, spinnt in den Dur-Stücken zarte Träumereien, geht auch das in verschlungenem Passagenwerk schäumende c-Moll-Stück eher geheimnisvoll verschleiert als – wie oft gehört – kraftvoll virtuos an. So schafft Chochieva sich Raum für unendliche Steigerungen, arbeitet sich dem volltönenden, massiven Flügel im kleinen Konzerthaussaal zum Trotz zu immer mehr Klarheit und Ausdrucksintensität vor.
Auch Études-Tableaux aus op. 33 gewinnen so prägnantes Profil – ebenfalls Werke, die Rachmaninow vor seiner Emigration aus Russland 1917 schrieb. Im US-Exil verstummte er für lange Zeit, gab lediglich fremden und eigenen Werken neue Klavierfassungen.
Chochieva sieht Rachmaninows Liedschaffen als „Labor“, in dem er stilistische Neuerungen erprobte. Die Transkriptionen von Vokalwerken, aus denen Tschaikowskys „Wiegenlied“ mit melodisch vielschichtiger Melancholie hervorragt, verströmen vor allem nostalgische Poesie, von der Pianistin mit delikatesten Nuancen belebt.
Einen herben Kontrast zur melancholischen Süße bilden die späten Corelli-Variationen, deren düsterem Nachsinnen über Vergangenheit, Zeit und Ewigkeit – selbst in diesem barocken Thema ist der Todes-Topos des „Dies irae“ enthalten – Chochieva auch immer wieder trostreiche Lichtpunkte entgegensetzt. In reichen Farbabstufungen entfaltet sie ein differenziertes, klar gezeichnetes Ausdruckspanorama.
Die Ernsthaftigkeit befreit sich zur puren Charme-Offensive: Rhythmisch schwingt das „Menuetto“ aus Bizets „L’Arlesienne“-Suite, die Duftigkeit von Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Scherzo bezaubert nebst burschikosen Akzenten, deftig-humorvoll kommt „Hopak“ von Mussorgski daher – alles in elaborierter, fantasievoller, klangprächtiger, grenzüberschreitender Virtuosität, die ihresgleichen sucht.
Unter den Zugaben wird dann die Nr. 6 aus „Études-Tableaux“ op. 39, vom Komponisten Rachmaninow als „Rotkäppchen und der Wolf“ bezeichnet, zum Spiel auf Leben und Tod, Flucht und Ermattung, wie es so eindringlich noch nicht gehört wurde. Enthusiastischer Beifall.