Der Entdecker
Er war einer der letzten Zeugen der Zeit, als in Kabul statt niederdrückender Gewalt noch weltoffene Flower-Power herrschte. Hartmut Geerken, der Dichter, Hörspielautor, Universalgelehrte und mit einer Sammlung afro-asiatischer Klanginstrumente fabelhaft experimentierende Performer und Komponist, hatte zwischen 1966 und 1983 in Kairo, Kabul und Athen als Sprachdozent und Direktor fürs Goethe-Institut gearbeitet. In Ägypten spielte er Avantgardetheater und hat das Cairo Free Jazz Ensemble gegründet, in Kabul schlug er Brücken nach Westen und Südostasien mit Poesie- und Musikfestivals und ist später mit dem befreundeten afroamerikanischen Kult-Jazzer Sun Ra aufgetreten und hat Aufnahmen gemacht.
Verwegene Edition
Dieser hochgewitzte, hünenhafte Kunstberserker war dabei ein leidenschaftlicher Entdecker. Zunächst Mitherausgeber der Reihe „Frühe Texte der Moderne“ beim Verlag Text + Kritik, hat er sein idyllisches Haus im Dörfchen Wartaweil am bayerischen Ammersee auch in den Sitz der eigenen Edition Waitawhile verwandelt. Und dort zusammen mit Detlef Thiel die auf inzwischen 33 Bände angewachsene Gesamtausgabe des 1946 in Paris verarmt verstorbenen deutsch-jüdischen Philosophen und genialisch tollköpfigen Poeten Salomo Friedlaender alias Myona besorgt. Geerken hatte den Nachlass des vor der Emigration von Karl Kraus und Kafka, Walter Benjamin und dem jungen Adorno geschätzten, danach völlig vergessenen Friedlaender aufgespürt und die Originale der Berliner Akademie der Künste vermacht. Das half, die verwegene Edition zu finanzieren.
Drama in Kleinschrift
In seinen eigenen Dichtungen, die Prosa, Lyrik und skurriles Drama in Kleinschrift verbinden, war Hartmut Geerken hermetischer als in seinen Konzerten. Das Theaterstück „sie mögen einer sein doch der hier sind sie nicht“ sollte in einem Gerichtssaal spielen. Szenenanweisung: Die Akteure „flüstern den text hinter aktendeckeln, so daß im publikum nichts zu verstehen ist.“ Das alles aber war: voller Sprachwitz. Und in seiner riesigen Weltkartenprosa „mappa“ von 1988, die er bis zu „moos“ 2010 fortgesetzt hat, fällt einmal das bezeichnende Wort „megalojatzolog“. Am vergangenen Donnerstag ist dieser poetische Free-Jazzer mit 82 Jahren am Ammersee verstorben.