In die Sauna mit Sarastro
Und wenn sie nicht gestorben sind, wie geht es dann weiter nach dem Ende des Märchens? Wenn die Prinzessin befreit und die Paare sich gefunden haben?
Mal ehrlich, wer will das schon so genau wissen. Es könnte ja zum Beispiel sein, dass die Ehe von Pamina und Tamino nach Mozarts „Zauberflöte“, dieser beliebtesten Märchenoper aller Zeiten, keineswegs paradiesisch ist. Dass Tamino (Johannes Dunz) nach all seinen Heldentaten zum Faulpelz degeneriert und Pamina (Alma Sadé) ihrem Gatten und all seinen zahmen Haustier-Drachen den lieben langen Tag hinterherputzen muss, weil die Viecher nie ein Klo benutzen (Arien-Text: „Ka-Ka-Kakaka, Ka-Ka-Kakaka…“). Und dass sie auch noch den gütigen Sarastro am Hals hat, der auf seine alten Tage nicht mehr weiß, wie er heißt und was Regieren bedeutet. „Zu Hilfe, zu Hilfe“: Damit die Care-Arbeit nicht ewig an den Frauen hängenbleibt, muss dringend ein neuer König her. Oder eine Königin.
Schon Mozarts Zeitgenossen hatten sich nach der supererfolgreichen Uraufführung der „Zauberflöte“ 1791 Fortsetzungen ausgedacht. Die bekannteste stammt vom Librettisten Emanuel Schikaneder höchstselbst, die Musik steuerte der Mannheimer Kapellmeister Peter von Winter bei. In „Der Zauberflöte zweyter Theil“ wird Pamina während der Hochzeit ein zweites Mal entführt, erneut müssen Prüfungen absolviert werden, am Ende ist wieder alles gut. Wegen des verwirrenden Plots und der allzu gefälligen Musik wurde die 1798 in Wien uraufgeführte „heroisch-komische Oper“ allerdings weniger gefeiert als das Original. Anschließend versuchte sich Goethe an einem Sequel; hier wird Paminas Sohn gekidnappt. Iffland und Zelter bastelten weiter daran; zuletzt verzeichnen die Opern-Annalen ein „Sarastro“-Drama aus der Feder des Liszt-Schülers Karl Goepfart.
Nichts davon setzte sich durch. Höchste Zeit also, dass die Finnen die Sache in die Hand nehmen, diese Experten für verwegenen Humor. Aufklärung, Freimaurer, Humanismus, Mysterienkultur? Alles halb so ernst, haben sich die Autorin Minna Lindgren (die zuletzt für die Finnish National Opera den Text zur Mozart’schen Pandemie-Oper „Covid fan tutte“ schrieb) und der Komponist Iiro Rantala wohl gedacht und Mozarts (Sing-)Spielfreude beim Wort genommen. Das Ergebnis, „Die Zaubermelodika“, wurde nun an der Komischen Oper uraufgeführt. Das Auftragswerk für Kinder ab 6 steht während der Weihnachtssaison auf dem Spielplan, wie zuletzt 2019 das Singspiel “Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer”.
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Melodika? Jazzpianist Rantala, der bei der Premiere persönlich am Flügel sitzt, spielte als Kind selber auf so einem Plastikinstrument. Reinpusten, Tasten drücken, trööt! Nicht gerade der Inbegriff hoher Musikkunst. Die Königin der Nach stattet ihren Diener Monostatos mit so einer Melodika aus, allerdings verhext das Instrument immer die Falschen. Mit dem Ergebnis, dass alsbald eine Dragqueen von Drache im Wald herumsteht, einem Wald aus XXL-Noten, mal düster verschattet, mal grasig grün (Bühne: Friedrich Eggert).
Rantala und Lindgren schieben die große, ungelöste Frage, wer in Mozarts „Zauberflöte“ denn nun gut und wer böse ist, kurzerhand beiseite. Der Mensch ist bekanntlich ein komplexes, wankelmütiges Wesen. Also tritt der grimmige Monostatos nicht als bad guy auf, sondern als diskriminierter Außenseiter, ein ungeliebter, unbehauster Looser im Trecking- Outfit. Strahlemann Tamino erweist sich wie gesagt als zauderndes Weichei und die Königin der Nacht als alternde Diva, die wehmütig auf jene Zeit zurückblickt, als sie noch bei Koloraturstimme war. Längst hat sie sich in eine bärtige, aus dem Leim gegangene Dragqueen verwandelt. Sie schafft nur noch die Bariton-Lage.
Selbst der naturfröhliche Papageno (Nikita Voronchenko) mit dauerschwangerer Papagena (Sylvia Rena Ziegler) und 20-köpfiger Kinderschar leidet unter Anfällen von Überforderung. „Pa, pa, pa, pa, pa…“, ständig plappern und palavern die Kids (fabelhaft: der Kinderchor unter Leitung von Dagmar Fiebach). Da kann auch ein Buffo mal Depressionen bekommen.
Revuetreppe, Bigband-Sound mit gestopftem Bleich: Diese Oper hat den Swing
Männer in der Krise, Frauen mit Tatkraft oder mit Bart, Waldspuk und Schloss-Intrigen: Auch in der „Zaubermelodika“ ist der Plot recht verwickelt. Neben der Pa- Family mischen noch drei Gnome mit, anstelle von Mozarts Damen- und Knaben-Trios. Die Bühne dreht sich munter im Kreis, obendrein sorgt das vom gewieften Musicaldirigenten Koen Schoots geleitete, um viel Schlagwerk angereicherte Orchester für unaufhörlichen Schwung.
Oder besser, für Swing. Ob Gnome und Kids sich nun auf einer veritablen Showtreppe tummeln, Charleston getanzt wird oder Monostatos den Blues hat: Iiro Rantala ist ein Meister der unreinen Mischung. Kaum denkt man an Mozart oder Rossini, schwenkt er zu Orientalismen um, hebt Jazz- und Revue-Elemente unter, Bigband-Sound mit gestopftem Blech, Zwanzigerjahre-Schlager und (vermutlich) finnischen Volkston.
[Die Kinderoper “Die Zaubermelodika” ist geeignet für Zuschauer:innen ab 6 Jahren. Sie dauert zwei Stunden, mit Pause. Weitere Aufführungen am 30. Oktober; 8. und 11. November; 10., 13., 16., 21., 26. und 27. Dezember.]
Von finnischen Volkssportarten zu schweigen. Die drei Prüfungen, die die Thron-Bewerber Tamino, Pamina und Monostatos bestehen müssen, dürften bei Berliner Kindern fröhlich-ungläubiges Staunen auslösen. Erst geht es darum, wer es am längsten in der Sauna aushält, dann um die Ausdauer im eisigen See, schließlich um das Sitzen auf einem Ameisenhaufen mit nacktem Po. Was dem Publikum amüsante Schwitz-, Bibber- und Jucksongs beschert. Auch Lautmalereien gehören zu Rantalas Spezialitäten
Neben der Situationskomik im Libretto („Nieder mit den Schiedsrichtern“, brüllt der Kinderchor von der Showtreppe, als die Gnome ihr finales Urteil fällen) trägt auch Regisseurin Nicole C. Weber zur Kurzweil bei, wenn sie die Charaktere mit dem Mut zur Karikatur ausstattet, ohne sie lächerlich zu machen. Für die fantastisch bunten Kostüme schöpft Alfred Mayerhofer aus dem Mystery-, Mythen- und Märchenfundus
Und vor allem sind sämtliche Solisten mit großer Hingabe bei der Sache, gesanglich wie darstellerisch. Wobei Philipp Meierhöfer als dementer König, Christoph Späth als Monostatos und Stefan Sevenich als Königin der Nacht bei den jungen Zuschauern und Zuschauerinnen den größten Jubel ernten. Zu Recht, rehabilitieren sie doch Mozarts Finstermänner und deren allzu menschliche Schwächen mit Leidenschaft und Selbstironie.
Wieso ist der Drache noch da, wo die Königin doch wieder zurückverwandelt ist?, fragt die Siebenjährige in den Schlussapplaus hinein. Zu den Ungereimtheiten der „Zaubermelodika“ gehört außerdem, dass das titelgebende Instrument enttäuschend wenig zum Einsatz kommt, obwohl effektvoll darum gerangelt wird. Was soll’s. „Das Leben ist ein Spiel“, heißt es im Finale. Jedem Trubel wohnt ein Zauber inne, auch ohne Melodika.
Und was wird aus Sarastro? So viel sei verraten: In der Sauna bleibt der Alte König. Und seine Nachfolge kann nicht nur exzellent singen, sondern auch verdammt hoch. Bis zum zweigestrichenen e, wenn die Ohren nicht täuschen.