Kunst als exakte Wissenschaft
Über Jahrzehnte gehörte das kleinformatige Bild der spiegelblank polierten Granitschale im Lustgarten zum vertrauten Inventar der Nationalgalerie, früher im Untergeschoss des Mies-Tempels am Kulturforum und nun in der Alten Nationalgalerie – eher ein Kuriosum, als dass man den Maler glaubte kennen zu müssen.
Das dürfte sich nun ändern. Denn mit der Ausstellung, die Kuratorin Birgit Verwiebe dem Maler Johann Erdmann Hummel im dritten Obergeschoss der Alten Nationalgalerie ausrichtet, tritt ein bemerkenswerter Künstler der Epoche zwischen Klassizismus, Romantik und Naturalismus ans Licht der Öffentlichkeit.
Er war fast vollständig vergessen
Vor knapp einhundert Jahren gab es die letzte Übersicht zum Werk Hummels, seither ist er ins Abseits geraten, und gäbe es dieses eine Bild der Granitschale nicht, er wäre vollständig vergessen worden. Allenfalls als Professor für Optik, Perspektive und Architektur an der Akademie der Künste wurde er in einschlägigen Handbüchern geführt, also nicht eigentlich als Lehrer der Malerei. Er vermittelte die Technik der Perspektive, dargelegt in mehreren, seinerzeit vielstudierten Lehrbüchern. Die Bezeichnung seiner Lehrtätigkeit liefert den Schlüssel zu Hummels Werk. 1769 in Kassel geboren, erhielt er schon im Kindesalter Unterricht in allen Künsten und trat im Alter von 40 Jahren seine bis zum Tod 1852 ausgefüllte Stelle an. Konnte man das Bild der Granitschale von 1831 noch als biedermeierliche Vedute missverstehen, so zeigt sich in der jetzigen Ausstellung ein Grenzgänger zwischen Malerei und exakter Wissenschaft.
Die Perspektive und die Spiegelung waren lebenslange Themen seiner Kunst. So tritt der Besucher in die Ausstellung ein, um zuerst über einen silbern verspiegelten Kiosk zu rätseln. In dessen Inneren befindet sich die stark vergrößerte Abbildung eines Hauptwerks von Hummel, des leider als Kriegsverlust verlorenen Gemäldes „Tribunal (Spiegelsaal)“ von 1839, dessen raffinierte Konstruktion sich endlos wiederholende Spiegelungen in diesem Wunderkabinett bewirkt.
Rundungen werden zu Linien
Vorzeichnungen, in den Kabinetten am Ende des Ausstellungsparcours bei gedämpften Licht zu sehen, zeigen die Anlage dieses und anderer Gemälde mit Perspektivlinien, mit deren Hilfe Hummel das Grundproblem jeglicher Malerei zu lösen suchte: die Wiedergabe dreidimensionaler Realität auf der zweidimensionalen Fläche des Bildträgers. Besonders schwierig sind Rundungen, die sich der Einpassung in gerade Linien widersetzen; daher der Reiz, den die Granitschale, 1831 auf Wunsch des preußischen Königs im Lustgarten aufgestellt, auf Hummel ausübte. Ein anderes Gemälde, „Italienischer Friedhof“ von 1845, zeigt die Übersetzung eines elegant verzierten Renaissancegewölbes in die Bildebene, auch dies ein Kabinettstück.
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Hummel musste, nachdem er zum Professor berufen war, seine Gemälde nicht mehr zu Markte tragen; er hatte Zeit und Muße, an den schwierigsten Aufgaben zu knobeln. Dass er neben den optischen Problemen an den Errungenschaften seiner Zeit lebhaft Anteil nahm, zeigt wiederum das Granitschalen-Motiv. Die hatte er nämlich bei der Aufstellung mithilfe von sechs handbetriebenen Seilwinden beobachtet; auch hier ist nur die Vorzeichnung erhalten, während das zugehörige Gemälde verloren ist. Schließlich wurde die Schale mit Dampfkraft rundgeschliffen – ein erstmaliger Einsatz der neuen, bald jede Muskelkraft um ein Hundertfaches übertreffenden Kraftquelle.
Sieben Jahre in Italien
Hummel war ein genauer Naturbeobachter. In seiner Lehrzeit hatte er sieben Jahre in Italien verbracht und das übliche Pensum von der römischen Campagna bis zum Golf von Neapel absolviert. Ein großer Schilderer der italienischen Landschaft wurde er nicht; vielmehr bewahrte er Eindrücke ein Leben lang, um sie in Phantasiekompositionen einfließen zu lassen, in denen er, für heutige Augen etwas penetrant, dem Katholizismus des Landvolks huldigt, mit Kapellen und Kreuzen in heimeligem Mondlicht.
[Alte Nationalgalerie, bis 20. Februar 2022. Katalog im Sandstein Verlag, 48 €.]
Wo steht Hummel in der Kunst des 19. Jahrhunderts? Die Ausstellung lässt eine chronologische Entwicklung nicht erkennen. Er blieb sich ein halbes Jahrhundert lang treu. Man bedenke – um nur Berlin zu nehmen –, dass zeitgleich Karl Blechen malte, dass der junge Menzel auf den Plan trat. Ihnen gegenüber wirkt Hummel als Bewahrer. Dennoch war er zuzeiten ein Neuerer, der Kompositionen wie die italienische Schenke in „Die Fermate“ von 1814 früher als andere formuliert hat. Ja, man muss Johann Erdmann Hummel künftig mit und gegen die Berliner Zeitgenossen ausstellen, damit sein Lebenswerk aus eigenem Recht hervortritt.