Depressionsdrama „Sola“: Von Lumen und Blumen
Die Impulse kommen weiterhin aus Leipzig; Wirkungsstätte von Künstler*innen wie Anna Haifisch, Max Baitinger oder Lina Ehrentraut. Die ebenfalls dort residierende Malwine Stauss zeichnet in ihrem zweiten Werk „Sola“ (Rotopol, 44 S., 18 €) Anamnesen mittels Aquarellfarben nach, sodass das Wort Krankheitsverlauf zudem bildlichen Ausdruck erfährt.
Ausgehend von Träumen der namenlosen und in einer Partnerschaft befindlichen Hauptfigur, tupft Stauss eine normierte Schaffensprozesse ignorierende Utopie voll lichtdurchfluteter Lebensräume auf die Seiten. Denn die so durch das Einwirken von Wasser und Farben auf Papier entstehenden Darstellungen sind von unwiederholbarer Einzigartigkeit und beinhalten eine kreative Absage an eine kontrollierte sowie serielle Produktion.
Dass der Comic trotzdem keine kulturpessimistische Technologieschmähung geworden ist, zeigt sich gegen Ende dieser literarischen Farbpoesie.
Rolltreppe abwärts
Zum sich kratzbürstiger gebenden Vorgängerwerk „Hexen“ von 2020 bildet „Sola“ allerdings trotz einer bezüglich der Herstellung innewohnenden Renitenz einen melancholischen Kontrapunkt.
Anfangs ist diese Traurigkeit nur durch das Sehnen der Ich-Erzählerin nach Freundschaften in von Sonne beschienenen Gärten erahnbar, aber diese helle Utopie kippt schon bald um wie verschmutztes Tuschwasser. Nämlich wenn die sonnig-leuchtende Vorstellungswelt auf ihren Ursprung zurückgeführt wird, zu einem vor dunkel dräuenden Silhouetten entspringenden Lichtschein aus Tageslichtlampen in einer sich kontinuierlich wandelnden Welt frei von Gewissheiten.
Derartige Poesie durch Farbalchemie ist den naturphilosophischen Spielereien in „Hexen“ durchaus nicht unverwandt. Gezogen wird diese Linie des Umbruchs zum Winterbeginn, der für viele Menschen saisonale Depression bedeuten kann.
In klar markierten und Grenzen ziehenden Eisblöcken voll eingefrorener Pflanzen, die sich zu hinabführenden und scharfkantigen Treppenstufen verändern, wird dem sonst wolkigen Erscheinungsbild auslaufender Farben im stetigen Dialog formal zudem zackig widersprochen.
Bis, ja bis endlich wieder Wolken auftauchen – aber dieses Mal das Licht einfangende und aufsaugende, so wie das dunkle Aquarellfarben mit ihren hellen Antagonisten zu tun pflegen.
Es folgt eine wortlose Sequenz unter Einsatz einer einzigartigen Farbdramaturgie, die Geschriebenes überflüssig macht – sodass sich nur noch sehr verhalten einzelne Lichtpunkte aus der übergriffigen Dunkelheit hervorwagen, hier zu lesen als „Hoffnungsschimmer“.
Warte, bis es dunkel wird
Letztendlich aber sind es diese Schimmer, die am Ende wieder versöhnlichere Farbkombinationen zu bilden helfen. Auslöser ist die Idee der Lebenspartner*in, durch eine Lampe Licht ins verstimmende Dunkel zu bringen, i.e. „Lichteinfall“.
So bleibt der Zusammenhalt der Mitmenschen der erhellende Moment und Befreiungsschlag aus den eingetrübten Sichtverhältnissen. Was übrigens wissenschaftlich untersucht wurde, so sollen Lux und Lumen (beides Einheiten zur Lichtmessung) bei saisonaler Depression Wirkung zeigen, und Singles sterben früher.
Heutzutage aber ist die Wissenschaft leider zur Glaubensfrage geworden. Und auch wenn der für diese Seiten zuständige Redakteur mir den durchaus klugen Ratschlag gab, keine Werturteile anderer in den eigenen Rezension zu verwenden, weil ja allein meine Meinung zähle, mache ich hier und heute die Ausnahme von der Regel, und hole die Forschung mit ins im Fluss der Wasserfarben treibende Boot.
Denn Hedwig Richter, Geschichtsprofessorin an der Universität der Bundeswehr zu München, ließ mir kürzlich bezüglich „Sola“ folgende Nachricht zukommen: „Was für ein umwerfendes Buch! (…) Unfassbar schön und traurig und ein bisschen tröstlich.“
Laut der taz ist Hedwig Richter „eine der führenden Intellektuellen der Bundesrepublik“. Viel wichtiger und entscheidend aber ist, Richter ist selbst Autorin, und keine schlechte.
Da aber meine Texte gemeinhin als ‘Blurb’-untauglich gelten (das ist, wenn Sätze aus der Kritik auf der Buchrückseite oder im Verlagskatalog landen), lasse ich das hier mal so stehen, weil ich diese Einschätzung voll und ganz teile. Hinzufügen möchte ich lediglich, wenn Onomatopoetik Lautmalerei bedeutet, dann stellt Malwine Stauss’ „Sola“ gleich ganze Sätze ins Bild.
Also, Rotopol, geschwind zugefasst! Alle anderen bitte den Comic kaufen, bevor es zu dunkel zum Lesen wird.
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