Den Shitstorm gibt es nicht umsonst

Wie praktisch, dass es arme Leute gibt, wer würde sonst die Drecksarbeit machen? Das weiß auch die Krawallbuchautorin Dena Grigorova. Kaum, dass sie mit der zweiten Auflage ihrer Streitschrift „Verengte Meinungskorridore“ zu einigem Reichtum gelangt war, hat sie sich eine bedürftige Person gekauft, die jetzt alles für sie erledigt, was zu schlechter Laune führt: Putzen, Kochen, Ikea-Möbel aufbauen. Richtig, auch wohlhabende Menschen kaufen bei Ikea. Der Pax hat einfach grandios viel Stauraum.

Was Dena außerdem das Leben erleichtert: ihr randvoll mit Scheinen gefülltes Shitstorm-Kissen. Noch nie gehört? „Als ich 2015 schwarzhaarige Kinder mit einer Horde sexualisierter Gorillas verglich, die entweder kastriert oder mit dem Bolzen erschossen gehören, ist der Scheißesturm auf Twitter fast eskaliert“, erinnert sie sich mit wohliger Nostalgie. Die Folge waren 117 Talkshow-Auftritte zum Thema „linker Faschismus“. Da klingelt natürlich die Kasse! Seitdem sammelt die Provokationsdienstleisterin all das Geld in einem Kopfkissenbezug. Das knistert nachts so schön beruhigend.

Dena, von Orit Nahmias vergnüglich gewissenlos mit deutsch-englischem Sprachmix gespielt („I grew up in a verarmte, bulgarische, griechisch-orthodoxe Preacher’s Family”), ist eine Protagonistin aus dem Stück „Rabatt“ von Nora Abdel-Maksoud. Die Regisseurin und Autorin hat schon mit „Kings“ im Ballhaus Naunynstraße bewiesen, dass sie zu den humorbegabtesten Gegenwartsdramatiker:innen zählt. Und seitdem das Niveau verlässlich gehalten. Am Gorki Theater unter anderem mit den Produktionen „The Making-of“ und „The Sequel“.

[Alle aktuellen Nachrichten bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]

Pop-Extravaganza mit staunenswerten Volten

„Rabatt“ fällt dagegen nicht ab. Einmal mehr schließt Abel-Maksoud ins Absurde überhöhte Kulturbetriebseigenheiten, sarkastische Beobachtungen sozialer Scheinnormalitäten und überschießende Pulp Fiction unterhaltsam kurz. Das Stück ist eine mit Filmzitaten und Popreferenzen gespickte Extravaganza, die staunenswerte Volten schlägt. In den beschaulichen Aufreger-Betrieb von Dena und „Personal Assistant“ Luigi (Aysima Ergün) platzt ein Lieferando-Bote (Taner Şahintürk), der mit dem Sushi-Paket in der Hand einen Herzinfarkt erleidet und verstirbt. Was lästig genug wäre, aber obendrein ist danach mit der Leiche auch das Shitstorm-Kissen verschwunden.

Orit Nahmias läuft als Krawallbuchautorin Dena Grigorova zu großer Form auf.Foto: Lutz Knospe

Die Suche führt per Lieferando-Tracking in ein Dorf, das früher Perchow-Föhringsweila hieß und heute nur „The Valley“ genannt wird. Hier regiert ein schräges Zwillingspaar – der Undertaker (Niels Bormann) und der Verwalter (Falilou Seck) – das ein Discountbestattungsunternehmen für von niemandem vermisste Tote führt, sich gegen den Begriff „Discount“ allerdings energisch verwehrt („War Büchner Discount-Dramatiker, weil er Papier beschrieb und keine Seidenbahnen?“). Das Geschäftsmodell besteht darin, die Habenichtse in Rekordzeit zu kremieren und in platzsparende Aschekapseln zu verpacken.

(Die nächste Vorstellung am 28.5. entfällt.)

Das ganze Land schickt mittlerweile Leichen ins „Valley“, das darüber stinkreich geworden ist. Im wahrsten Sinne. Denn niemand hat es hier mehr nötig, sich als Müllkutscher:in zu verdingen. Unter der Trash-Oberfläche gärt also Bedenkenswertes. Den Theoriekern ihrer Sause über toxischen Reichtum hat sich Nora Abdel-Maksoud von Bourdieu geliehen und dem toten Lieferando-Rider Davide in den Mund gelegt. Es geht um das berühmte Konzept der Doxa – um die Überzeugungen, die eine Gesellschaft unhinterfragt als gegeben annimmt.

Konkret: Wieso denken wir, es sei okay, wenn schlecht bezahlte Menschen „45 Minuten durch Schneeregen fahren, um eine Schale Süßkartoffel-Sticks zu liefern“? Abdel-Maksoud verhandelt solche Fragen mit wutbefeuertem Witz und einem famosen Ensemble. Nahmias, Ergün, Şahintürk, Bormann und Seck arbeiten sich mit Slapstickkunst und Sprachgewandtheit gleichermaßen durch das Stück, das zwar keine revolutionären Lösungen für die Gesamtproblematik anzubieten hat. Dafür aber ein knalliges Ende mit einem Live-Auftritt der Band Chuckamuck.