Das Museums des 20. Jahrhunderts steht erneut in der Kritik
Das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron ist Kritik gewohnt. „Ihrem Berliner Museumsprojekt am Kulturforum weht seit Beginn ein scharfer Wind entgegen“, konstatierte unlängst die „Neue Zürcher Zeitung“. Die „NZZ“ wusste ihre Leser freilich mit der Hamburger Elbphilharmonie zu beruhigen, denn bei der „lösten sich die Streitereien bald nach der Eröffnung wie in Luft auf“.
Bis es in Berlin soweit ist, dass sich alle Streitereien in Luft auflösen, wird es noch ein paar Jahre dauern. Bis dahin werden es die Basler Architektenberühmtheiten aushalten müssen, dass ihre in kleinen Schritten vorgenommenen Überarbeitungen des Wettbewerbsentwurfs von 2016 immer neue Einwände nach sich ziehen.
Zuletzt war in der „FAZ“ eine Generalabrechnung mit dem Projekt zu lesen. Sie attestierte den in aller Welt gefragten Architekten „ein erstaunlich beratungsresistentes Beharrungsvermögen“, weil sie „zu substanziellen Änderungen einfach nicht bereit“ seien.
Aber worin sollten diese bestehen? Der Kerngedanke des Entwurfs, die im freien Raum einer gewaltigen, vom Keller bis zum glasgedeckten Dachfirst reichenden Halle sich kreuzenden Wege, kann es ja nicht sein, an dem noch viel zu ändern wäre.
Mit ihm steht und fällt die Majestät des Entwurfs, der von außen tatsächlich nur eine, wenn auch mit allerlei Details veredelte „Scheune“ bildet. So wurde der Entwurf gleich nach dem Wettbewerb betitelt. Herzog & de Meuron waren geschickt genug, den als Abwertung gemeinten Begriff positiv umzudeuten und ihr Museum gewissermaßen als Ausdeutung einer architektonischen Urform zu preisen, als zeitgenössisches Beispiel der bis auf Vitruv zurückgehenden „Urhütte“.
Es wird auch um die Nutzfläche gestritten
Diese Durchwegung bezeichnen die Architekten, unter denen Büropartner Ascan Mergenthaler die Federführung des Projekts innehat, mit dem assoziationsreichen Begriff „Boulevard“. Der Boulevard, so nimmt das Büro zu den jüngsten Kritiken Stellung, „ist nicht ein einfacher Verkehrsweg oder simple ,Erschließungsfläche’, wie manchmal zu lesen ist, sondern Herzstück des Architektur- und Nutzungskonzepts ,offenes Haus’“.
Die Vergrößerung der Bruttogrundfläche (BGF) des Gebäudes, die gegenüber dem Erstentwurf um rund 5000 Quadratmeter auf 31 500 Quadratmeter angewachsen ist, wird begründet mit einem „Mehrbedarf an technischen Funktions- und Konstruktionsflächen, die seinerseits u.a. auf die gesteigerten Ansprüche an Gebäudesicherheit“ .
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Aber auch „die städtebauliche Anforderung eines größeren Abstands zur Kirche mit der Folge der notwendigen Vergrößerung des 2. Untergeschosses“ wird ins Feld geführt. Um den Abstand zur Matthäikirche ist heftig gerungen worden. Der Erstentwurf rückte bedrohlich an die Kirche heran, woraufhin ein Mindestabstand von vierzehn Metern festgesetzt wurde, der zu einer Verkleinerung des Baufeldes, jedoch zur Vergrößerung der Untergeschosse geführt hat.
Die Nutzfläche, und das betonen die Kuratoren der Nationalgalerie und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sei mit 15 350 Quadratmetern „praktisch eine Punktlandung des ,gebilligten Bedarfs’, also der Nutzfläche, die von der Stiftung und den Staatlichen Museen gefordert wurde“.
Zu viel oder zu wenig?
Ist das viel oder wenig? Es ist die Größe, die die Kuratoren, voran Joachim Jäger als Leiter der Neuen Nationalgalerie, für die Dauerausstellung der Sammlung errechnet haben. „Den ,Rohling’“, sagt Jaeger selbstbewusst, „haben wir weiterentwickelt.“ Dass die BGF das Doppelte der Nutzfläche ausmacht, ist zuallererst dem architektonischen Grundgedanken des öffentlichen Raumes zuzuschreiben, den Herzog & de Meuron in den Illustrationen, den „Renderings“ zum Entwurf so suggestiv vorzuführen wissen.
Es ist dies allerdings ein öffentlicher Raum – und diese Kritik sollte nicht vergessen werden – , der sich an die Stelle eines Raumes unter freiem Himmel setzt; ein Raum, der in den Mauern des Museums eingeschlossen ist. Wer hier einmal lustwandeln wird, kann glatt vergessen, dass draußen noch andere Gebäude stehen, darunter die beiden erwähnten Ikonen des 20. Jahrhunderts.
Wer das kritisiert – etwa der Architekt Stephan Braunfels –, muss die Wettbewerbsausschreibung insgesamt verdammen; denn sie schrieb vor, das Museum auf diesem seit jeher vernachlässigten und nie mit einer begeisternden Idee aufgeweckten Grundstück anzusiedeln.
Wird die Klimatisierung zum Kostenfresser?
Ein anderer Gesichtspunkt ist in jüngster Zeit stärker in den Blick gerückt: die Energiebilanz des Gebäudes. Die Durchdringung der öffentlichen „Boulevards“ mit den in den vier Rechteckflächen zu Seiten dieses Wegekreuzes angeordneten Sammlungsräumen führe dazu, so die Kritik, dass das ganze Gebäude mit unvertretbarem Aufwand klimatisiert werden müsse.
Dem widerspricht das Basler Büro: „Nur die Flächen, in denen Kunst gezeigt, restauriert oder gelagert wird, erfüllen die hohen internationalen musealen Klimastandards. Dies macht ca. die Hälfte aller Flächen in dem Gebäude aus. Büroflächen, Flächen für die Bildung und Vermittlung, Restaurant, Café, Shop und Multifunktionssaal befinden sich in einer anderen Klimazone und sind zum größten Teil natürlich be- und entlüftet. Der Boulevard – in Basel spricht man in der Einzahl – sei „ein wichtiger Pufferraum, vergleichbar mit einem übergroßen ,Windfang’, der den Energiebedarf zur Klimatisierung der Ausstellungsräume reduziert“.
Darüber werden sich Klimatechniker die Köpfe zerbrechen; ohnehin ist die „TGA“, die Technische Gebäudeausrüstung, bei Sonderbauten wie Museen zum Kostenfresser geworden, im Gleichschritt mit den immer weiter verfeinerten Anforderungen an das Raumklima und dessen Stabilität, beispielsweise für den Fall eines Wintertages, dessen Kälte und Feuchtigkeit von den Besuchern ins Haus getragen wird. „Ein Museum“, spitzt Jäger zu, „ist so schwierig wie ein Krankenhaus.“
Die Ausrichtung ist nicht optimal
Ein gewichtiger Punkt der Kritik ist die nicht ganz einfache Orientierung innerhalb des Museums. Die Separierung von öffentlichen, frei zugänglichen und entgeltlichen, gegen Kauf eines Tickets zu betretenden Flächen wird ein Problem sein. Allerdings stellt sich die Frage, ob die bisherige Organisation des Zugangs mit Kassen – und den vor ihnen schnell sich bildenden Warteschlangen – eine Zukunft haben kann und darf. Nachdem die Pandemie bei all ihrem Schrecken zu einem regelrechten Quantensprung hinsichtlich der bargeldlosen Bezahlung, überhaupt der Erfassung von Kunden und Besuchern geführt hat – Stichwort „Corona-App“ –, scheint hier gesteigertes Nachdenken hoch an der Zeit.
Sollte nicht gerade das Museum des 20. Jahrhunderts, das am Ende locker die Halbmilliardenhürde an Kosten nehmen wird, wenn schon nicht unentgeltlich, so doch ohne die Beschwernisse herkömmlicher Kassentresen zu besuchen sein?
Doch das Museum ist nicht nur für seine Besucher da. Es wird eine Landmarke im Stadtgefüge sein, von Hunderttausenden Tag für Tag gesehen. Für den Wettbewerbsentwurf nahm eine vielfach durchbrochene Ziegelmauerfassade ein, die tagsüber Licht ins Gebäude holen und nachts aus ihm heraus leuchten sollte. Nun wird die komplizierte Konstruktion zugunsten einer herkömmlichen Stahlbetonkonstruktion mit einer äußeren Mauerschale aufgelöst.
Die Überarbeitungen sind keine Generalrevision
Das müssen die Basler offenbar besonders verteidigen, wenn sie erklären, es handele sich gerade nicht um die üblichen, vorgehängten fertigen Fassadenteile, „sondern eine tatsächlich gemauerte Klinkerfassade. Die dabei verwendeten Steine sind gebrochen und haben im Verbund eine ,textile’ Anmutung“. Diese reine Klinkerkonstruktion setze sich als Dachziegel im Dach fort. Die im Wettbewerb angedeuteten Beleuchtungseffekte nach innen wie nach außen soll es weiterhin geben.
In der Summe sind die Überarbeitungen des Basler Büros alles andere als eine Generalrevision – die aber ist auch nicht zu erwarten, sie wäre eine Missachtung des Wettbewerbs. Die „Urhütte“ in Hitech-Ausstattung wird kommen. Ob aber ein solches Haus, und das heißt: ob das technisch Machbare auch das heute noch Gebotene sei, ist eine ganz andere Frage. Sie ist weder von Herzog & de Meuron noch von den Kuratoren der Nationalgalerie allein zu beantworten. Die Gesellschaft insgesamt steht vor der Herausforderung, eine Antwort zu suchen, im Museumsbau wie in allen Lebensbereichen.