Bitte kein Toast im Bett!
Ein zweites Album, das auf ein großes Debüt folgt, ist zum Scheitern verurteilt. So lautet das ungeschriebene Gesetz der Kulturindustrie. Zu schwer die Last der Erwartung. Zu strapaziös der Spagat zwischen Kontinuität und Weiterentwicklung. Wenn dann noch der Frontmann wenige Tage vor der Veröffentlichung aussteigt, kann aus der erhofften Entwicklung eigentlich nur eine Abwicklung werden. Sänger Isaac Wood begründete sein Aus mit entwaffnender Ehrlichkeit. Er spüre eine „Art von traurigen und ängstlichen Gefühlen, die es schwer machen, gleichzeitig Gitarre zu spielen und zu singen“. Ein Schritt, der Respekt abverlangt.
Wer sich aber ohnehin jenseits der Vermarktungslogik und gängiger Popschemata bewegt, wie die Londoner Band Black Country, New Road, der kann selbst eine solche Krise als Häutung in der künstlerischen Metamorphose auslegen. Weitermachen will der Rest als Sextett. Ein Glück.
Nur ein Jahr nach „For The First Time“ setzt der Nachfolger „Ants From Up Here“ zu Beginn die Rastlosigkeit des gefeierten Debüts fort. Im Intro zuckt das Saxofon wie ein Rennpferd in der Startbox. Raus mit den irrwitzigen Ideen und Melodien! Hinab in den Strudel aus Post-Punk, Free Jazz, Klezmer und Math-Rock. Wähnt man sich in „Chaos Space Maschine“ zunächst auf dem Jahrmarkt, treibt das ekstatisch aufspielende Saloonpiano alles in Richtung des opulenten, vielstimmigen Refrains. Die Taktarten verschieben sich rascher als die Figuren beim Schnellschach. Der „beste Song, den wir je geschrieben haben“, nennt Wood das. „Als ob wir den ganzen Scheiß an die Wand geworfen und einfach alles hängen gelassen hätten“.
Verkopfte Schroffheit durch Gefühl ersetzt
Ja, es sind noch immer hakenschlagende, von Ideen übersprudelnde Lieder. Doch die frühere Experimentierfreude wird in geordnetere Strukturen überführt. Die verkopfte Schroffheit von einst durch Gefühl ersetzt. Das kratzende Lärmen hält sich zurück. Alles wirkt gesetzter, organischer und harmonischer. „Wir sind sehr, sehr hoch verschuldet. Wir brauchen ein paar Hits“, erklärte die Band im Interview augenzwinkernd die neue Aufgeräumtheit.
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„Concorde“ verzückt mit seinen melodiösen Gitarrenlicks. „Bread Song“ ist eine fiebrige Ballade, in der Wood mit seinem zittrigen Sprechgesang zu einem sinfonischen Arrangement darüber sinniert, keinen Toast mehr im Bett essen zu dürfen („This place is not for any man / Nor particles of bread“). Da spürt man glatt die Krümel auf der Haut und das Kribbeln darunter.
Beinahe radiotauglich klingt „Good Will Hunting“, das über gefällige Harmonie das Schicksal einer Person mit „Billie-Eilish-Style“ verhandelt, die nach Berlin zieht, um etwas zum Festhalten zu finden. Klingt durchaus vertraut. „Haldern“ beginnt dagegen mit einer kleinen Jazz-Meditation und löst sich in einem Stakkato aus Pianogeklöppel und Hitchcock-Geigen auf. Das Ideen-Füllhorn wird von einem zum anderen gereicht. Die Aggregatzustände wechseln von Tiefenentspannung zur Panikattacke. Von demonstrativer Fragilität zur Zerstörungswut.
Allein das halbstündige Finale aus drei elegisch ausufernden Kompositionen dürfte mit seinen aufwallenden Chören, Schlagwerkgewittern und Anleihen bei 90er-Emobands die stilistische Spannbreite ganzer Diskografien von Post-Punk-Kollegen weit übertreffen. Vorerst haben Black Country, New Road alle Konzerte abgesagt. „Ich habe mich damit abgefunden, dass dies vielleicht das Beste ist, an dem ich für den Rest meines Lebens beteiligt sein werde“, sagte Bassistin Tyler Hyde über die Aufnahmen. Glücklich, wer das von sich behaupten kann.