Besser als Dante
Reiseliteratur zu Island gibt es mehr als genug, und auch dieses Buch von Halldór Gudmundsson sieht zunächst aus wie ein handelsübliches, sehr schmuckes Reisebuch mit sehr schönen Aufnahmen von Dagur Gunnarsson.
Aber der Untertitel „Insel aus Geschichten“ (Aus dem Isländischen von Kristof Magnusson. Corso Verlag, Wiesbaden 2021.264 S., 29, 90 €.) verrät schon mehr: Gudmundsson, der 1956 in Reykjavik geboren wurde, ist nicht nur zu dreißig sehenswerten Orten auf Island gefahren, um sie als Sehenswürdigkeiten zu markieren. Sondern er macht diese Orte, die auf den ersten Blick gar nicht so bemerkenswert aussehen, erst zu Sehenswürdigkeiten, indem er erzählt, wie sie „mit unserer Literatur und unserer Geschichte verbunden sind.“
Man könnte sagen, zumal so mancher Isländer tatsächlich fest daran glaubt: Island ist die Wiege der Literatur, das Erzählen hat eigentlich hier begonnen, nämlich mit den Isländersagas, die ihren Ursprung in der mündlichen Erzähltradition haben.
Snorri Sturluson war der erste große Schriftsteller
So stellt Gudmundsson zuerst einen Ort namens Reykholt vor, der eigentlich nicht viel zu bieten hat, außer einer Kirche mit angeschlossener Bibliothek. Doch in Reykholt hat Snorri Sturloson gelebt, laut Gudmundsson „einer der bedeutendsten Schriftsteller des ganzen europäischen Mittelalters“.
Er ist der Verfasser von „Edda“ zum einen und einer der ältesten Isländersagas zum anderen, der „Saga von Egil Skallagrimson“. Gudmundsson spart nicht mit Superlativen beim Porträt von Sturluson, der 1215 als Gesetzessprecher Islands oberster Politiker war, ein Autor noch vor Dante, „noch origineller als die Kollegen aus der italienischen Renaissance.“
Man kennt dieses Selbstbewusstsein vom Gastland-Auftritt Islands 2011 bei der Frankfurter Buchmesse. Den hatte Gudmundsson organisierte, nicht zuletzt in seiner Eigenschaft als Biograf des einzigen Literaturnobelpreisträgers der Insel, Halldór Laxness.
Halldór Laxness gewann den Literaturnobelpreis
Es gehört natürlich ein Augenzwinkern zu mancher kleinen isländischen Angeberei und Übertreibung. Deshalb folgt man Gudmundsson bei seiner literarischen Reise umso lieber: nach Hveragerdi, dem Dorf der Dichter, nach Lakagígar, dem Ort, an dem die französische Revolution eigentlich begann (klar!), oder nach Herdísarvik, wo einer der exzentrischsten Schriftsteller Islands gelebt hat, Einar Benediktsson.
Als „larger than life“ bezeichnet Gudmundsson ihn, „für isländische Verhältnisse in allem zu groß“. Im Gegensatz zu Laxness, der weltberühmt war und über dessen Haus und Rolls Royce Gudmundsson ebenfalls viel zu berichten weiß. Am Ende hat man den Eindruck, dass dieses Buch gleichfalls ein feines Porträt Islands ist – und das Geschichtenerzählen hier nie ein Ende findet.