Australisches Kontrastprogramm in Melbourne
Ein freundliches Lächeln, ein Winken ins Publikum und immer ein nettes Wort für die Gegnerin: Ashleigh Barty ist die Vorzeigesportlerin im Tennis. Am Donnerstag erreichte sie nach einem weiteren problemlosen Zweisatzsieg bei den Australian Open das Finale in der Frauenkonkurrenz – als erste Einzelspielerin aus dem Gastgeberland seit dies 1980 Wendy Turnbull gelang. „Es ist unwirklich. Es ist unglaublich. Ich bin einfach glücklich“, sagte Barty im Siegerinterview noch auf dem Platz.
Ein paar Stunden zuvor hatten bereits Nick Kyrgios und Thanasi Kokkinakis das Finale im Männerdoppel erreicht. Kyrgios hatte dabei wie so oft alle Register gezogen, schon beim Einmarsch in die Rod-Laver-Arena hatte er das Publikum dazu animiert, Emotionen zu zeigen. Im Match gegen Marcel Granollers und Horacio Zeballos aus Spanien und Argentinien gab es dann von ihm und seinem Partner reichlich davon: Trickschläge, ein zertrümmertes Racket und nach dem 7:6 (7:4), 6:4-Sieg eine Umarmung im Liegen an der Grundlinie.
So sehr Barty die australische Nation eint in ihrem Stolz darauf, dass die beste Tennisspielerin der Welt aus ihrem Land kommt, so sehr spalten Kyrgios und Kokkinakis die Menschen in und außerhalb von Melbourne. Jeder gönnt der 25-jährigen Nummer eins im Frauentennis den Sieg – selbst die Gegnerinnen. So sagte Serena Williams einmal über Barty: „Ich denke, sie ist die eine Person, die wir alle anfeuern. Auch ich.“
Bei Kyrgios stellt sich das ganz anders dar: „Er geht auf Messers Schneide zwischen Entertainer zu sein und over the top zu sein“, sagte der Deutsche Tim Pütz nach seiner Niederlage im Doppelviertelfinale und kritisierte: „Was er dann teilweise zwischen erstem und zweiten Aufschlag macht, hat nichts mit Entertainment zu tun, das hat nichts mit witzig zu tun, das ist einfach nur unsportlich.“
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Tatsächlich wirkt es in Melbourne mitunter so, als würden Barty auf der einen und Kyrgios/Kokkinakis auf der anderen Seite zwei unterschiedliche Sportarten betreiben. Das äußert sich auch im Verhalten der Fans auf den Tribünen. Während bei Spielen der Frau aus Queensland Fans in „Barty Party“-Shirts mit Abstand das auffälligste sind, rasten die Zuschauer bei Kyrgios und Kokkinakis regelrecht aus. Was nicht zuletzt an den beiden Protagonisten selbst liegt, die jeden Punkt entweder lautstark oder gestenreich oder mit beidem zusammen feiern.
Und so ist es kein Wunder, dass die Atmosphäre auf den Rängen zuweilen eher an Australian Football erinnert. So war es in den ersten Runden beinahe Standard, dass bei Aufschlagfehlern der Gegner applaudiert wurde. Schon Daniil Medwedew hatte nach seinem Zweitrundensieg gegen Kyrgios im Einzel das Publikum dafür kritisiert und denjenigen, die Beifall spendeten einen „Low IQ“ – also wenig Intelligenz – bescheinigt.
Kyrgios beharrt darauf, dass es genau das ist, was das Publikum sehen will. „Tennis hat einen wirklich erbärmlichen Job gemacht, wenn es darum geht, verschiedene Persönlichkeiten zu akzeptieren. Im vergangenen Jahrzehnt gab es immer nur drei Spieler, um die sich alles gedreht hat“, kritisierte er die seiner Meinung einseitige Fokussierung auf Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic.
Typisch für Kyrgios ist, dass er den Serben in dessen Kampf um eine Teilnahme bei den Australian Open öffentlich unterstützte, obwohl er sich in der Vergangenheit immer wieder verbale Scharmützel mit Djokovic geliefert hatte. Djokovic sei ein nichtgeimpfter Tennisspieler und keine Massenvernichtungswaffe, gab Kyrgios zu Protokoll. Es scheint zuweilen so, als würde der mittlerweile 26 Jahre alte Profi aus Canberra schon aus Prinzip eine andere Meinung als die vorherrschende vertreten müssen.
Nick Kyrgios hat zu allem eine eigene, oft kontroverse Meinung
Auch Ashleigh Barty wurde zum Fall Novak Djokovic befragt. Auf ihre eigene, charmante Art umschiffte sie das Thema allerdings elegant. „Ich möchte wirklich nicht über seine medizinische Vergangenheit sprechen. Das ist nicht meine Entscheidung“, sagte sie vor dem Start des Turniers. Um dann fast makellos bis ins Endspiel zu rauschen. Barty gab keinen Satz ab, mehr als sieben Spiele konnte keine ihrer Kontrahentinnen gegen sie gewinnen.
Auch im Halbfinale gegen die bis dato so starke US-Amerikanerin Madison Keys stand am Ende ein klares 6:1 und 6:3. Am Samstag spielt sie nun um den Titel gegen deren Landsfrau Danielle Collins, die sich gegen Iga Swiatek aus Polen ebenfalls deutlich 6:4 und 6:1 durchsetzte.
Unmittelbar nach dem Frauenfinale steht dann das Doppelendspiel an, in dem Kyrgios und Kokkinakis in einem rein australischen Duell auf Matthew Ebden und Max Purcell treffen. Die beiden „Special Ks“ wie Kyrgios und Kokkinakis nach ihren vielversprechenden Jugendkarrieren genannt wurden, sind auf dem Papier dabei wieder einmal Außenseiter. Was auch daran liegt, dass sie einfach drauflos spielen, wie es Kokkinakis schon im vergangenen Jahr erzählte, als sie es schon einmal in Melbourne zusammen versucht hatten: „Wir reden auf dem Platz vielleicht zu einem Prozent über Taktik, der Rest ist einfach nur Müll.“
Ashleigh Barty wird allseits geliebt und geschätzt
Und vor ihrem Erstrundenspiel in diesem Jahr meinte er in Richtung seines Partners: „Mit ihm zu spielen ist immer ein Erlebnis. Wir sind sicherlich kein besonders typisches Doppel.“ Dabei wusste er zu dem Zeitpunkt noch gar nicht, was ihn erwarten würde. Denn Kyrgios verschenkte noch vor dem ersten Ballwechsel seinen Schläger an einen Zuschauer, der ihn darum scherzhaft per Zuruf gebeten hatte. Längst steht neben dem Spaß nun auch das Ergebnis im Mittelpunkt, der Turniersieg ist zum Greifen nahe – und das für ein Doppel, das nur per Wildcard ins Teilnehmerfeld rutschte.
Sollte hingegen Ashleigh Barty am Samstag triumphieren, würde das der allgemeinen Erwartungshaltung entsprechen. Falls ihr das gelingt, wird sie wieder strahlen, hierhin und dorthin winken und vermutlich ganz viele nette Dinge sagen. Vielleicht sogar in Richtung von Nick Kyrgios und Thanasi Kokkinakis – die unmittelbar danach das Kontrastprogramm folgen lassen.