Alchemie aus der Dunkelkammer

Im Improtheater gibt es eine Übung, die darin besteht, dass mehrere Teilnehmer versuchen sollen, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. Während alle sich abmühen, gewinnt erstaunlicherweise oft die Person, die am wenigsten macht. Ähnlich ist es bei Trisha Donnelly. Je mehr sie sich entzieht, desto mehr will man über die Künstlerin persönlich wissen. Desto mehr Geschichten lösen sich aus dem Schatten ihrer Kunst. Die Scheue, die Unergründliche. Die mit dem Pferd.

Trisha Donnelly hatte bereits eine Einzelausstellung im Kölner Stammhaus der Galerie Buchholz. In der Berliner Dependance aber noch nicht. Zur Vorbereitung ihrer ersten großen Schau zum diesjährigen Gallery Weekend kam sie nun selbst an die Spree. Im Vorfeld war nicht herauszukriegen, was sie vorhat. Kein Text, kein Ausstellungstitel, kein Instagram Post. Donnellys Filme, Fotos, Installationen, oft auch flüchtige architektonische Eingriffe, kann sich ohnehin nur annähern, wer ihnen direkt begegnet.

Kunst, die sich nicht erzählen lässt

Zu diesem Spiel gehört, dass die Künstlerin ihr Werk wenig erklärt. Oder dass man über sie sagt, dass sie es wenig erklärt. Umso prickelnder ist es, dass sie doch manchmal persönlich in Erscheinung tritt. Einmal soll sie in Oslo ein Lied von Nina Simone gesungen und danach direkt verschwand sein. Ein anderes Mal, so kann man es nachlesen, bestand ihre Arbeit darin, in das Lüftungssystem eines Gebäudes in Moskau hineinzuflüstern und zu singen. Kein Text, in dem nicht beschrieben ist, wie sie 2002 als Kurier Napoleons verkleidet mit einem Pferd durch Manhattan ritt, hinein in ihre New Yorker Galerie, dort eine rätselhafte Kapitulation verlas und wieder verschwand.

[Behalten Sie den Überblick über alle wichtigen Entwicklungen in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über Neues aus Ihrer Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Bei Buchholz in der Fasanenstraße ist nun alles so, wie man es befürchtet. Die Ausstellung ist still, sehr zurückhaltend, viel weiße Wand, viel schwarzer, soeben neu aufbereiteter Holzfußboden. Etwa 20 schwarz-weiß Fotos der Künstlerin hängen an den Wänden, hinter dünnem randlosem Glas, das jeweils mit vier schwarzen Nägeln befestigt ist. Einzeln, zu zweien, zu dreien gruppiert.

Trisha Donnelly stelle zum ersten mal ausschließlich analoge Fotografien aus, sagt Galerist Daniel Buchholz. Das ist also keine durchschnittliche Donnelly-Schau mit Synästhesie-Effekt, Licht, Sound und Bild – das ist gesteigerte Reduktion. In den Fotoabzügen sind mehrere Bilder auf- und übereinander belichtet.

Auch ein Spiel: die scheue Künstlerin

Die Motive abstrakt. Wie Wolken, die sich auftürmen, Farbe, die verläuft, Rorschachtest in Schwarz-Weiß. Jeder sieht hier, was er in sich trägt, schaut in seine eigene Leere oder Fülle hinein. Jedes Detail kann bei Donnelly eine Rolle spielen, die Nägel, das Glas, die Hängung, das Licht, das Zimmer in der Galerie, das sonst nicht genutzt wird und in dem jetzt weitere Bilder ausgestellt sind.

Erstaunt stellt man fest, dass die Künstlerin persönlich anwesend ist, sich nicht vor neugierigen Augen versteckt, stattdessen auf dem Balkon in der Abendsonne steht. Es sei nicht ganz richtig, dass sie nicht über ihre Kunst spreche. Es würde nur selten jemand fragen, sagt sie. Die Basis der gezeigten Fotos seien Landschaftsbilder, die sie seit Jahren macht, und Experimente in der Dunkelkammer, die sie liebt.

Wohin beim Gallery Weekend? Lesen Sie unsere Ausstellungs- und Kulinarik-Tipps bei Tagesspiegel Plus

Man kann bei der Beschreibung von Trisha Donnellys Werk beliebig in der eigenen Wörterkiste kramen. Innere Organe, Röntgenaufnahmen, Monster, all das ließe sich den Fotografien anhängen. Aber jetzt hat man etwas an die Hand bekommen. Wenn man erstmal weiß, dass sie oft „langweilige Landschaften“ fotografiert, sieht man hier auch welche: Silhouetten von Bäumen und Büschen, dräuende Himmel, vertikal gedreht. Mittendrin mal ein schwarzer Balken. Wie gierig der Geist nach Anhaltspunkten greift. Ein Reflex, der kaum zu verhindern ist. Es sei denn, man arbeitet so wie Donnelly, verweigert Kontext und Interpretation. Lässt den Betrachter mit seiner Exposition allein.

Trisha Donnelly bekam die erste Einzelausstellung in „The Shed“

Die 1974 geborene Kalifornierin stellt seit 1999 aus, sie nahm zweimal an der Venedig Biennale teil und 2012 an der Documenta 13 mit einem Film aus Formen, Farbe und Licht. In London hat sie in der Serpentine Gallery wenig gemacht und viele begeistert, in New York durfte sie die erste Einzelausstellung in „The Shed“, dem neuen Kulturzentrum in den Hudson Yards, bestreiten. In Deutschland begann ihr Siegeszug Mitte der 2000er im Rheinland, sie bekam den Central-Kunstpreis, stellte im Kölnischen Kunstverein aus, man sagt, dass auch hier wieder ein Pferd im Ausstellungssaal gewesen sein soll. Obwohl kein Mensch genau weiß, ob es wirklich so war.

Später war ihre Arbeit bei Videokunstsammlerin Julia Stoschek in Düsseldorf zu sehen, 2017 bekam sie den Wolfgang-Hahn-Preis verliehen, den das Museum Ludwig auch schon an Rosemarie Trockel, Christopher Wool oder Cindy Sherman vergeben hat. Direktor Yilmaz Dziewior, der in diesem Jahr Maria Eichhorns Eingriff im deutschen Pavillon der Venedig Biennale kuratiert hat, zeigte sich damals begeistert davon, dass Donnelly die zentrale Fragestellung der Kunst – nämlich, was ein Kunstwerk eigentlich ist – in die Zukunft führt.

[Galerie Buchholz, Fasanenstr. 30, 29. 4. bis 4.6., zum Gallery Weekend am Sa 29.April und So 1. Mai ist von 11 bis 19 Uhr geöffnet.]

Jeder muss selbst entscheiden, was er da sieht

So kann man Donnellys Kunst vielleicht am besten beschreiben: Sie radiert erst einmal jede Bedeutung aus, um die Zuschauer dann mit ihrer eigenen Erfahrung zu konfrontieren. Ganz allein auf sich gestellt. Jede und jeder muss selbst entscheiden, was sie oder er da sieht. Das ist anstrengend, unbequem und auch ein bisschen gemein. Weil man sich oft fühlt, als hätte man das Wichtige nicht mitgekriegt.

Es ist Teil von Trisha Donnellys Werk, dass man sich selbst fragt, was man von der Kunst eigentlich will. Warum möchte man unbedingt wissen, wie sie entstanden ist und worauf sie verweist? In Donnellys Fall besteht die Übung darin, die eigene Energie zu spüren, nicht unbedingt die der Künstlerin. Wer sich daran freuen kann, gewinnt.