Albrecht Dürers Reise in die Welt
In Brüssel „hinter des Königs Haus“ sieht Albrecht Dürer Brunnen, Labyrinthe und den Tiergarten und vermerkt, „dass ich lustiger Ding, mir gefälliger, gleich einem Paradies, nie gesehen habe“. Nürnberg, wo der knapp 50-jährige, längst europaweit gefeierte Künstler herkommt, ist gewiss nicht Provinz, sondern eine blühende Bürgerstadt. Aber was Dürer im reichen Norden des habsburgischen Riesenreichs sehen kann, zumal in der Hafenstadt Antwerpen, ist von nochmals anderer Fülle und Qualität.
Dreizehn Monate bleibt Dürer in den Jahren 1520/21 im Norden, gemeinsam mit seiner Frau Agnes und der Magd Susanna. Von hier aus erkundet er die flandrischen Lande mit Brügge, Gent und Brüssel, aber auch die Nordseeküste; und in entgegengesetzter Richtung besucht er Aachen und Köln. Und er holt sich im Spätherbst 1520 eine tückische Krankheit, an deren Folgen er acht Jahre später stirbt.
Die Flandern-Fahrt war sehr ertragreich
Über Dürers zwei Venedig-Reisen ist viel geschrieben worden, mit den Landschaftsaquarellen, den ersten in der europäischen Kunst. Die Flandern-Reise steht hintenan, dabei ist sie zumindest quantitativ die ertragreichere. Von den rund eintausend Zeichnungen, die Dürer nachweislich geschaffen hat, stammen allein 120 von dieser einen Reise.
Auch Gemälde hat er unterwegs etliche gefertigt, doch ging die Mehrzahl verloren, nachdem Dürer sie als Geschenk oder Tauschartikel weggeben hatte; nur fünf sind erhalten, Porträts von Bekanntschaften, die er in reicher Zahl schloss.
Nun sind drei dieser Porträts in einer Ausstellung vereint, die sich allein mit der Niederlande-Fahrt beschäftigt und einen glanzvollen Höhepunkt im reduzierten Kunstbetrieb dieses zweiten Pandemie-Jahres bildet. „Dürer war hier. Eine Reise wird Legende“ ist das Unternehmen des Aachener Suermondt-Ludwig-Museums überschrieben, ein Projekt, das sieben Jahre in Arbeit war, um es auf den 500. Jahrestag des Aachen-Besuchs Dürers zu legen. Covid kam dazwischen und erzwang die Verschiebung in den Hochsommer 2021. Um so höher ist zu bewerten, dass die anspruchsvollen Leihgaben aus nicht weniger als 67 Sammlungen dennoch für Aachen gesichert werden konnten, zumal die Ausstellung noch in London gastieren wird.
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Mit anderen Worten, das Aachener Haus stellt sich mit diesem Unternehmen in die allererste Reihe der europäischen Museen. Sein Leiter Peter van den Brink und das Kuratorenteam haben grundlegend erforscht, was Dürer sah und künstlerisch verarbeitete – und wie im Einzelnen er auf die Kunst zurückwirkte.
Etwa am Beispiel des so ungemein folgenreichen Gemäldes des Heiligen Hieronymus, ausgeliehen aus Lissabons Nationalmuseum für Alte Kunst. Dürer gab dem Heiligen die Züge eines 93-jährigen Mannes, den er 1521 in einer großformatigen Zeichnung festgehalten hat. Beide Werke, jetzt nebeneinander, machen es unmöglich zu beurteilen, worin Dürers Genie größer war, ob in der Zeichnung oder der Malerei.
Für beide Gattungen sind überreiche Beispiele in der rund 190 Katalognummern umfassenden Ausstellung zu sehen; auch wenn van den Brink Dürers singulären Rang eher in Zeichnung und Reproduktionsgrafik sieht. Dürer muss stapelweise Holzschnitte und Kupferstiche mit sich geführt haben, sie sicherten ihm einen Großteil des Einkommens.
Eigentlicher Anlass der Reise war denn auch ein pekuniärer: Kaiser Maximilian, dem Künstler wohlgesonnen, war 1519 verstorben, und Dürer drohte der von diesem bewilligten Jahrespension von 100 Gulden verlustig zu gehen, so dass er sich deren Erneuerung vom neuen Kaiser, dem jugendlichen Karl V., bestätigen lassen wollte. Gerade rechtzeitig zur Krönung Karls zum römisch-deutschen König in Aachen traf Dürer nach beschwerlicher Reise im Oktober 1520 ein.
Später dann in Antwerpen ging Dürer in den internationalen Handelshäusern ein und aus. Besonders mit den Vorständen der portugiesischen Faktorei pflegte er regen Umgang. Er zeichnete und malte die Handelsherren und Notabeln, die er traf.
Dabei bevorzugte er das Dreiviertelprofil vor neutralem Hintergrund, das ihm die Möglichkeit bot, die Person psychologisch auszuloten. Dass aus Boston das Bildnis des Handelsherren Fernandes de Almada ausgeliehen konnte – erstmals seit 1902! –, unterstreicht den Rang der Aachener Ausstellung.
Unstillbare Neugier zeichnete ihn aus
Dürer war von unstillbarer Neugier. Bekannt ist die Episode, dass er sich an einen abgelegenen Küstenabschnitt schippern ließ, an dem ein Wal gestrandet sein sollte, doch das ins Meer zurückgelangte Tier nicht mehr vorfand. Den Kopf eines Walrosses, den er später in Antwerpen zeichnete, ist eines der Glanzstücke seiner naturwissenschaftlich-exakten Beobachtungsgabe.
Auch sah er dort Mitbringsel aus den frühen spanischen Kolonien in Mittelamerika, an denen er die Kunstfertigkeit „der menschen in frembden landen“ bewundert. Kolonialer Dünkel war ihm, der 1521 das warmherzige Porträt einer 20-jährigen Schwarzen namens Katharina zeichnete, vollständig fremd.
[Aachen, Suermondt-Ludwig-Museum, bis 24. Oktober. Katalog (Michael Imhof Verlag) 39 / 49,90 €. www.duerer2020.de]
Nicht durchweg war die Reise ein Erfolg. Maximilians Tochter Margarete von Österreich, Statthalterin der Niederlande, wies das ihr angebotene Bildnis des Vaters brüsk zurück und verweigerte dem Künstler den erhofften Auftrag zu einem großen biblischen Historienbild.
Dürer entwarf mehrere anspruchsvolle Kompositionen, die, wie der „Große Kalvarienberg“ oder die „Kreuztragung Christi“, entweder angefangen wurden, unausgeführt blieben oder aber später verloren gingen. Die Zeichnungen, denen als gesuchten und leicht transportablen Sammlerstücken mehr Glück beschieden war, sind heute gleichwohl in alle Winde zerstreut, so dass ihre temporäre Zusammenführung in Aachen ein seltenes Glück bedeutet.
Bleibt noch die Krankheit. Welche es war, wissen wir nicht mit Sicherheit; die von Dürer später beschriebenen Symptome lassen auf Malaria schließen. Antwerpen als Knotenpunkt der frühen Globalisierung sah wilde Tiere, fremde Federn und eben auch üble Erreger, die sich weit ins Land verbreiteten, wo Dürer sich dann infizierte.
Doch gefallen hat ihm die Hafenstadt, sie war ihm das so bezeichnete „Paradies“. Gern blieb er monatelang und unternahm seine Abstecher von hier aus. Gezeichnet hat er den geschäftigen Hafen übrigens als stilles Idyll.
Fixstern der Renaissance
Unzählige Künstler hat er mit seinen Werken beeinflusst, ja zu unmittelbarer Nachahmung angeregt, wie die Ausstellung an zahlreichen, ihrerseits herausragenden Werken belegt. Er wurde mit seinen Bildideen zum Vorbild, zum Fixpunkt einer nördlichen Renaissance, an deren Horizont bereits das Feuer der kommenden Religionskriege aufglühte.
Sein portugiesischer Freund und Auftraggeber, João Brandão, protestantischer Neigungen verdächtig, verließ die Stadt. Sein Bildnis blieb unvollendet. Peter van den Brink weist das bislang als ungesichert geltende Gemälde dem Nürnberger Weltkünstler zu. Forschung kommt nie an ihr Ende, und hier nimmt die Öffentlichkeit sinnlich-sichtbaren Anteil.