Filmfestspiele von Venedig (8): Ana de Armas glänzt als Marilyn Monroe
Es gibt zwei Sorten von Festival-Hypes. Die erste Kategorie könnte man grob mit, wie es die Amerikaner so unnachahmlich freundlich formulieren, overstay their welcome umschreiben: Ein Film erntet nach seiner Premiere Lobeshymnen, die sich zum Kinostart schließlich ins Gegenteil verkehrt haben. Der frühe Buzz entfaltet seine ganze negative Backlash-Energie, wie etwa bei Todd Phillips‘ Venedig-Gewinner „Joker“.
Und dann gibt es Filme wie Andrew Dominiks lang erwartetes Marilyn-Monroe-Biopic „Blonde“, adaptiert von Joyce Carol Oates’ Bestseller, über den man seit zwei Jahren so viel Gerüchte hört, dass der Film eigentlich nur die Erwartungen enttäuschen kann. „Blonde“ erhielt von Netflix als erste Eigenproduktion eine „Ab 18“-Freigabe, es gab Ärger wegen einiger Sexszenen, die Veröffentlichung wurde mehrmals verschoben.
Eine echte und eine allegorische Hölle
Dominik hat definitiv keinen Film gemacht, den die Leute lieben sollen. „Blonde“ wirft aber auch, sechzig Jahre nach dem Tod Monroes, kein neues Licht auf die tragische Lebensgeschichte des größten weiblichen Hollywoodstars. Er beginnt buchstäblich in der Hölle: einem Flammenmeer in den Hügeln über Los Angeles, durch das die siebenjährige Norma Jeane mit ihrer abhängigen Mutter rast – auf dem Weg zum Vater, einem großen Namen in Hollywood, dessen Identität geheim bleiben muss. Und er endet in einer allegorischen Hölle: dem Schlafzimmer des amerikanischen Präsidenten, dem Marilyn in einer Point-of-View-Einstellung (eine populäre Porno-Kategorie) einen Blow-Job gibt.
Marilyn Monroe ist in „Blonde“ immer Opfer: ausgebeutet von ihrer Mutter, und missbraucht von Männern, die sie „Daddy“ nennt. Nur dem Regisseur gibt sie beim Dreh von „Manche mögen’s heiß“ Widerworte und stürmt wütend vom Set. Nach der Premiere von „Blondinen bevorzugt“ entschuldigt sie sich bei ihrem abgetriebenen Baby: „Und dafür habe ich Dich aufgegeben?“
Dominik wählt, weil auch schon Oates’ Vorlage eine spekulative Fiktion war, das Format der Kolportage. Er springt zwischen den Bildformaten, Farbe und Schwarzweiß, zwischen konventioneller Biopic-Erzählung, impressionistischen Fragmenten und kruder Trauma-Verarbeitung (eine andere Form der Pornografie). Man kann sich Dominiks Montage nur schwer entziehen – auch dank Ana de Armas, die in kurzen Momenten von Resilienz immer wieder eine Autonomie vom übermächtigen Marilyn-Mythos behauptet.
Aber dieser vorgeschobene Feminismus ist noch sichtlich ein Produkt der Vor-MeToo-Ära, selbst in Dominiks Interpretation. Eine Regisseurin hätte eine andere Erzählung für Norma Jeane gefunden, die sich nicht wie ein Käfig aus sensationsheischenden Drehbuch- und Regieeinfällen anfühlt.
Auch in Venedig sind die Reaktionen geteilt, doch zum Ende des Festivals setzt „Blonde“ noch mal ein Zeichen. Die zweite Woche am Lido verläuft wegen der hohen Festivaldichte im Herbst gewöhnlich etwas gemächlicher, doch in diesem Jahr stauten sich nicht alle Highlights am ersten Wochenende. Mit „No Bears“ des seit Juli inhaftierten Jafar Panahi steigt am Abschlusstag sogar noch ein ernsthafter Anwärter ins Rennen um den Goldenen Löwen ein. Panahi ist längst ein Protagonist seiner selbst, bis zu seiner Verhaftung drehte er heimlich mit kleinen Crews im ländlichen Iran. Darum geht es auch in „No Bears“, der zwei Liebesgeschichten, darunter einen Film-im-Film, miteinander verwebt.
Diese Meta-Autofiktion ist seit Beginn der Repressalien 2010 gewissermaßen Panahis Akt der Dissidenz – aber auch eine Möglichkeit, mit feiner Selbstironie seine eigene Verzweiflung zu thematisieren. Nun steht zu befürchten, dass „No Bears“ für mindestens sechs Jahre sein letzter Film bleiben wird: Allein deswegen kommt die Jury um Julianne Moore wohl kaum um Panahi, der bereits 2000 den Goldenen Löwen für „Der Kreis“ gewann, herum.
In „No Bears“ wird seine Hoffnungslosigkeit wieder greifbarer, als hätte Panahi seine Verhaftung bereits geahnt. Vor einer Woche schickte er im Namen aller inhaftierten Filmemacher eine Botschaft nach Venedig: „Die Hoffnung, wieder etwas zu erschaffen, ist der Grund unserer Existenz.“ Auch darum ist jeder neue Film von Jafar Panahi im Moment ein kleines Wunderwerk.
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