Liebermann-Villa am Wannsee : Die eigenen Bestände durchforsten
Liebermanns Dackel räkelt sich tiefenentspannt. Wie er sich dabei mal linksrum, mal rechtsrum wendet, hat der Künstler treffsicher auf einem Skizzenblatt festgehalten. Später machte er aus dem spontanen Einblick ins Hundeleben eine großformatige Lithographie.
Aber nicht das sympathische Motiv interessierte Alice Cazzola. Die Provenienzforscherin drehte das Blatt um. Auf der Rückseite prangt ein blauer Stempel „ST-K“. Ein wichtiges Indiz: Die drei Buchstaben stehen für den rheinischen Sammler Heinrich Stinnes und für den Berner Kunsthändler Klipstein. Er verkaufte ab 1938 die Riesengrafiksammlung von Stinnes.
Ist Liebermanns Blatt „Teckelstudien“ womöglich Raubkunst? Wechselte es in der NS-Zeit verfolgungsbedingt seine Besitzer? Weitere Recherchen ergaben: Entwarnung! Die Provenienzampel springt auf Grün. Liebermanns schlafende Hunde dürfen ungestört weiterdösen.
Seit 2020 spürt Cazzola an der Liebermann-Villa den oft verschlungenen Herkunftswegen der Sammlungswerke nach. Unzählige Anfragen an Archive müssen gestellt, Kataloge gewälzt und Kollegen kontaktiert werden. Oft ziehen sich die Recherchen über Monate hin, können möglichweise nie zum Abschluss gebracht werden.
Direktorin Lucy Wasensteiner, die über Provenienzforschung promovierte, hat das Projekt ins Rollen gebracht. Im kommenden Frühjahr läuft die Finanzierung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste aus. 150 Werke sind schon geschafft, darunter viele Grafiken.
Was dabei Spannendes herauskam, zeigt jetzt die Ausstellung „Wenn Bilder sprechen“. Gerade Grafikkunst ist für Provenienzrecherchen ein besonders schwieriges Feld. Denn Drucke sind keine Unikate, sondern kamen in hohen Auflagen in den Kunsthandel. Welches Exemplar sich wann genau wo befand, ist vielfach kaum noch nachzuweisen. Zumal solche Blätter gern in ganzen Konvoluten veräußert wurden.
In Auktionskatalogen oder Nachlasslisten findet sich oft nur summarische Angaben. Sackgasse? Alice Cazzola gibt nicht so schnell auf: „Provenienzforschung ist ein Fass ohne Boden“. Die meisten der erforschten Werke haben eine unbedenkliche Vorgeschichte. Aber eben nicht alle.
Hauptstück der Ausstellung ist eine Ölstudie Liebermanns nach Franz Hals. Er kopierte den markigen Männerkopf eines St-Adriansschützen in Amsterdam studienhalber. Mitsamt dem kompletten Atelierbestand ging das Gemälde nach Liebermanns Tod 1935 in den Besitz seiner Frau Martha über. Doch keine Schriftquelle belegt dies.
Es gibt nur ein winziges Indiz, rechts unten auf dem Gemälde: Die Signatur ist in Wahrheit aufgestempelt. Martha markierte auf diese Weise per Nachlassstempel alles, was ihr gehörte. Und damit war für die Provenienzforscherinnen klar: Liebermanns „Adriansschütze“ ist klipp und klar Raubkunst.
Denn Martha wurde vom NS-Regime drangsaliert, versuchte vergeblich zu fliehen und nahm 1943 am Vorabend ihrer Deportation eine Überdosis Veronal. Die Gestapo beschlagnahmte kurz danach ihre Hinterlassenschaften, darunter zahlreiche Kunstwerke. Manches hatte die Witwe auch zuvor verkauft, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Trotzdem darf der „Adriansschütze“ am Wannsee bleiben. Die Urenkelinnen des Künstlers verzichteten großzügigerweise auf eine Rückgabe. 2003 war das Bild von der Max-Liebermann-Gesellschaft angekauft worden. Rund 200 Werke umfasst die rasant seit 1997 angewachsene Sammlung mittlerweile, die meisten davon Schenkungen von Privatleuten. Anfangs wurde dabei auf die Provenienzen keineswegs so genau geachtet wie heute.
Aber gerade Liebermann-Arbeiten sind oft von Raubkunstvorgängen belastet. Denn seine Gemälde, Grafiken und Zeichnungen wurden in den 1920ern mit Vorliebe von wohlhabenden Bürgern gekauft. Nicht selten waren diese Sammlerinnen und Sammler jüdischer Herkunft.
Auch solche Netzwerke beleuchtet die Ausstellung. Manchmal bringt die Provenienzforschung aber auch Familiengeschichten ans Licht. Ein großes Pastell, das jetzt im einstigen Schlafzimmer des Künstlerpaares am Wannsee hängt, zeigt Liebermanns Cousine Toni. Sie besaß mit ihrem Mann eine Villa gegenüber. Von jedem Raubkunstverdacht ist es frei: Die Erbinnen selbst schenkten es 2006 der Liebermann-Gesellschaft.
Heikler steht es mit einem Porträt, das der schwedische Maler Anders Zorn von seinem Kollegen Liebermann fertigte. Der mäkelte, die Radierung sei wohl eher eine „Caricatur“. Aber wo sich das Blatt von 1933 bis 1945 befand, ist unklar. Ein rückseitiger Sammlerstempel formt eine charakteristische Schnörkellinie. Doch in keiner der bekannten Datenbanken, die Spezialisten zusammengetragen haben, ist dieser Stempel zu finden.
Die Liebermann-Villa hofft, jetzt durch die Ausstellung einen Schritt weiterzukommen. Vielleicht erkennt jemand genau diesen Stempel. Tatsächlich prangt er auch auf einem Liebermann-Porträt, das der neusachliche Conrad Felixmüller in Holz schnitt. Also: Detektive vor! Viele Fragen bleiben zu klären. Bei einer ganze Reihe von Werken in der Ausstellung steht die Provenienzampel erst auf Gelb. Das heißt: Verdachtsfall ungeklärt.
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