Der Sound der Bilder
Musik im Comic – das ist eine komplizierte Angelegenheit. Das eine ist visuelle, das andere akustische Kunst. Mit sogenannten onomatopoetischen Wortgebilden, also Soundwords wie „Biff“, „Bäm“ oder „Pow“, haben sich Comickünstler:innen von Anfang an beholfen, um ihre Bildwelten zum Klingen zu bringen.
Die Soundwords mit ihren Variationen in der Typografie für Klangfarbe und Lautstärke wurden zu einem der präsentesten Comic-Elemente in der Popkultur. Sie tauchten zum Beispiel in der Kunst 1963 bei Roy Lichtenstein auf („Whaam!“) und in der Musik 1967 in dem Song „Comic Strip“ von Serge Gainsbourgh, wo Brigitte Bardot singt: „Des clip, crap, des bang, des vlop et des zip, shebam, pow, blop, wizz“.
Und 1966 in der Realverfilmung „Batman“ (dt. „Batman hält die Welt in Atem“) poppen sie als visuelle Doppelung der Tonspur knallbunt im Bild auf. Dass man sich aber auch mit rein zeichnerischen Mitteln und ohne Worte der Musik annähern oder sie geradezu sichtbar machen kann, zeigen einige aktuelle Veröffentlichungen.
Dabei hilft, dass Musik an sich zwar rein akustisch sein mag, ihre Darbietung es in der Regel aber nicht ist. Wer an Punkrock denkt, hat noch, bevor der erste von drei Akkorden angeschlagen wird, farbige Stachelfrisuren und Sicherheitsnadeln vor Augen. Steve Parkhouse kann sich auf diese omnipräsenten Bilder verlassen, wenn er die von Jim McCarthy geschriebene „Sex Pistols Graphic Novel“ (Panini, 100 S., 19 €) über Aufstieg und Fall der legendären Band illustriert.
Bei Konzertszenen quellen die Songtexte via Sprechblase aus Johnny Rottens Mund – die werden jedoch von allen möglichen Störgeräuschen übertönt, wenn der Tumult im Konzertsaal losbricht. Mit einem lauten „Thunk“ landet eine Flasche auf einem Kopf, mit einem noch lauteren (also in größeren und fetteren Lettern gesetzten) „SPOOIINNNG!!“ zieht Sid Vicious einem Konzertbesucher seinen Bass über den Schädel.
Wenn man genau hinsieht, findet man den Sound auch im Strich von Steve Parkhouse. In einer ganzseitigen Zeichnung zeigt er Johnny Rotten bei einem frühen Konzert. Die Band stößt auf wenig Zuneigung, und Rotten pöbelt mit seinem finstersten Blick: „I want you to know that I hate you“. Um ihn herum Striche wie scharfe Cuts, die an Rottens schneidende Stimme erinnern.
Wellengrafiken und Schwingungslinien
Dass Popmusik von ikonischen und mythischen Bildern lebt, macht sich auch Holger Klein zunutze, wenn er in „Wolkes Wahn“ (Kult Comics, 96 S., 20 €) einen Psychothriller rund um einen durch zu viel Drogenkonsum in den Wahn abgestürzten Techno-DJ erzählt.
Auch in seinem Comic sind eher die Bilder zur Musik als ihre Töne präsent, wenn im Club Koks geschnupft wird oder das Stroboskop blitzt und im Studio der Kabelsalat die Geräte verbindet. Genau hier, im Interface der Musikprogramme, findet Klein leider nur ganz vereinzelt in Form von Wellengrafiken Bilder für die Musik. Einmal – während eines DJ-Sets des Protagonisten – durchziehen unregelmäßige Schwingungslinien hektisch das Bild.
Deren Verwendung ist naheliegend, da Klang entsteht, wenn Elemente in Schwingung gebracht werden, die sich in Form von Schallwellen ausbreitet. Im Comic sind diesen Linien entsprechend der Expressivität der Musik keine Grenzen gesetzt.
Wilde Farblinien, die gleich einem Vulkanausbruch aus dem Klavier strömen, sieht man in der Anfang des Jahres erschienenen Beethoven-Biografie „Goldjunge“ (Avant, 160 S., 25 €) von Mikael Ross als Visualisierung der überwältigenden Musik. Ross’ Comic ist nicht nur an diesen Stellen überaus gelungen.
[Mehr über „Goldjunge“ und andere Comicbiografien Beethovens zu dessen 250. Geburtstag Beethovens gibt es in diesem Überblicksartikel.]
Was aber, wenn man sich so weit vom Pop entfernt, dass es keine allgemein abrufbaren Bilder gibt? Wenn das Thema so sehr in Richtung Stille weist, dass wild geschwungene Striche nicht mehr als Assoziation für die zu beschreibende Musik herhalten können? Und wenn auch das Leben des Musikers oder der Musikerin nicht spektakulär abbildbar ist?
Schüsse mit Notenkugeln auf das Publikum
Joonas Sildre stand mit seiner Graphic Novel „Zwischen zwei Tönen“ (Voland & Quist, 224 S., 28 €) über Leben und Werk des estnischen Komponisten Arvo Pärt vor dieser Herausforderung. Pärt erkundet schon als Kind die Welt vor allem über den Klang.
Der Leser kann ihn hierbei begleiten, da auch Sildre die geschwungene oder, je nach Klangfarbe, nervös gezackte Linie wählt, um Schallwellen zu verbildlichen – bei einem Klavier ebenso wie bei einem Motorrad. Der ganze Comic ist geprägt von diesen Linien und Punkten. Die leitet Sildre von der Notation ab und lässt sie bei Pärts ersten musikalischen Schritten als Kugeln durch den Comic gleiten, schwingen, rollen.
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Damit erinnert Sildre daran, dass Komponisten der Neuen Musik wie Iannis Xenaki oder Luigi Nono für die Niederschrift ihrer Musik zunehmend Zeichnungen anfertigten, die die Expression und Emotion ihrer Stücke beschreiben sollten, weil sie mit der herkömmlichen Notation an ihre Grenzen stießen.
Größtmögliche Nähe zum Comic erreichte Cathy Berberian 1966 mit „Stripsody“, dessen Notation nur aus Zeichnungen, Sprechblasen und Soundwords bestand.
Auch Pärt beginnt schon in jungen Jahren, seine Musik zu zeichnen. 1963 komponiert er das Stück „Perpetuum Mobile“, das sich langsam zu einer drohenden Klangwand auftürmt. „Du hast eine Spirale aufs das Notenblatt gezeichnet … aber ist das nicht zu mechanisch?“, fragt ihn der Dirigent im Comic. Bei der Uraufführung, die hier in einer beeindruckenden Doppelseite kulminiert, beschießt Joonas Sildre das Publikum regelrecht mit Notenkugeln.
[Mehr über das Verhältnis von Musik und Comics gibt es unter anderem in diesen Tagesspiegel-Artikeln: Tocotronic-Comics – Stromgitarren im Swimmingpool, Mörderische Musik, Gallien sucht den Superstar.]
Pärt wendet sich in den 70er Jahren vom formelhaften Komponieren ab und gelangt über die gregorianischen Chöre und seine Hinwendung zur orthodoxen Kirche immer mehr in Richtung eines sakralen Minimalismus, der den Einzelton so sehr schätzt wie die Stille zwischen zwei Tönen. Wie Sildre in seiner Biografie nun Pärts Ringen um die Balance, die Harmonie in Bilder fasst, ist faszinierend.
Mit „Zwischen den Tönen“ gelingt ihm aber noch ein weiteres Kunststück. Er verbindet Pärts Idee der Gleichberechtigung von Klang und Stille mit dem Erzählprinzip des Comics, das ihn von allen anderen Medien unterscheidet: Wie Pärts Musik der Stille kann der Comic nur aus der Wechselwirkung zwischen Bild und Nicht-Bild entstehen. Zwischen zwei Panels gibt es einen Zwischenraum, der etwas erzählt, was nicht da ist: die Zeit zwischen den Bildern.