Neues Album von Thylacine: Schwebt zwischen Klassik und Elektronik
Diese rasanten, die Melancholie des Flamenco heraufbeschwörenden Gitarrenläufe sind unverwechselbar: Viele dürften den Beginn der „Asturias“ des spanischen Komponisten Isaac Albéniz sofort wiedererkennen. Doch in dieser Version scheint etwas anders. Nach einer Weile schieben sich aufgeschichtete Synthesizer-Klänge pulsierend in das Klangbild, dann kommen Streicher hinzu. Zunächst wirken sie sanft, dann werden sie mächtiger und pompöser, bis sie mit einem wuchtigen Paukenschlag verhallen und nur noch eine Arpeggiosequenz des Synthesizers übrig lassen.
Zur hören ist das auf„Thylacine and 74 musicians“, dem neuen Album von William Rezé, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Thylacine. Der 31-Jährige hat sich in seiner Heimat Frankreich als einfallsreicher Produzent elektronischer Musik einen Namen gemacht. Das Debütalbum „Transsiberian“ von 2015 etwa nahm er über zwei Wochen in der Transsibirischen Eisenbahn auf. Dabei hielt er die Erlebnisse seiner zahlreichen Stopps zwischen Moskau und Wladiwostok – von U-Bahn-Geräuschen bis hin zu schamanischen Gesängen – mit einem Aufnahmegeräte fest, und verarbeitete diese Klänge auf dem Album.
2020 dann widmete sich der klassisch ausgebildete Saxofonist auf „Timeless“ den Giganten der europäischen Musikgeschichte, unterlegte Beethoven, Satie und Mozart mit elektronischen Beats. Auf dem jüngsten Album, das am 16. Februar erscheint, denkt er noch weiter: Alle Stücke sind live eingespielt und entstanden während eines gemeinsamen Auftritts Thylacines mit dem Orchestre National des Pays de la Loire. Maßgeblich mitgewirkt hat dabei die Dirigentin und Arrangeurin Uèle Lamore.
Zwischen dem Elektronischen und Klassischen schwebend, baut das Album hauptsächlich auf dem melodiösen Material der Werke, derer sich Thylacine bedient. Deutlich wird das beim Violinenkonzert Winter aus den Vier Jahreszeiten Vivaldis, dessen Thema vom Geiger Luka Faulisi atemberaubend interpretiert wird. Solist und Orchester stehen hier im Mittelpunkt, wie auch bei den anderen kanonischen Werken von Mozart, Händel oder Verdi, die auf dem Album vertreten sind.
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Thylacine fügt sich dort mit seinen Synthesizern, deren Timbre oft gar nicht weitab von den Orchester-Instrumenten liegt, geschickt ein. Doch die Drumcomputer-Untermalung, die sich meist erst in der zweiten Hälfte der Stücke einschleicht, lässt rhythmische Akzente vermissen. Sie bietet stattdessen eingängige Beats, die – gleich einem Metronom – zuverlässig den Takt untermalen, dabei aber formelhaft wirken und wenig Komplexität bieten.
Das ist auf den Stücken, die aus der Feder des Franzosen selber stammen und auf „Thylacine and 74 musicians“ einen neuen Anstrich erhalten, gelungener. „War Dance“ etwa, das im Original erst vergangenes Jahr auf dem Album „9 Pieces“ erschienen war, lässt das Piano mit den Drums gemeinsam rasant aufeinanderfolgende, synkopierte Schläge spielen, bevor Thylacine zum Saxofon greift und es in einem großen Spannungsbogen aufheulen lässt. Auf „Pleyel“ lässt Thylacine das Piano abermals als rhythmisches Instrument in Erscheinung treten, das mit vereinzelten Trommelschlägen und mit sich staccato aufbäumenden Streichern die Grundlage für ein weiteres Saxofonsolo bietet.
Der Wahlberliner Henrik Schwarz und das Orchester Metropole Orkest haben bereits 2018 mit „Scripted Orchestra“ gezeigt, wie innovativ die Schnittstelle zwischen elektronischer Klanggestaltung und orchestralem Musizieren erkundet werden kann. Thylacine greift diesen ungewöhnlichen Ansatz mit originellen Ideen auf, driftet aber hier und da ins Klischeehafte.
Live ist die Symbiose, die der Franzose schon mit verschiedenen Ensembles auf die Bühne gebracht hat, auf alle Fälle hörens- und sehenswert. Auch das Album lässt Musikbegeisterte aufhorchen, die sich für ungewöhnliche Adaptionen des klassischen Kanons sowie orchestral interpretierte Klänge aus der elektronischen Musik begeistern lassen.