Austausch, Solidarität, Zusammenhalt: Das Spring-Magazin wird 20

Zusammengehörigkeit – was das bedeutet, ist doch klar… oder? Dieses große Wort, das mit dem emotional konnotierten „Zusammen“ beginnt und mit „Gehörigkeit“ ein wenig förmlich und steif endet, ruft unterschiedliche Assoziationen hervor. Wie subjektiv und divers dieser Begriff verstanden werden kann, zeigt die kürzlich erschienene Anthologie des Künstlerinnenkollektivs Spring, das passend zum 20. Jubiläum den Titel „Togetherness“ für die diesjährige Ausgabe wählte. 

Darin stellten sich 20 Zeichnerinnen dem Thema in kurzen Comic-Beiträgen, Cartoons und Illustrationen. Das Ergebnis ist ein breites und hochwertiges Spektrum an Inhalten, Darstellungsformen-und mitteln. 

Gleich zu Beginn lässt die Hamburger Künstlerin Anne Vagt ihre Protagonistin bei einer Umfrage im Bekanntenkreis zum Thema recherchieren. In leichten, schwarz-weiß skizzierten Szenen haben Freunde und Familie ganz andere Vorstellungen vom Begriff – von Liedern, in denen das Wort „together“ vorkommt, über Familienkonstellationen bis zu einem Buch voller absurder Sprüche. Aber ganz so weit muss sie sich gar nicht vorwagen, um die „Zusammengehörigkeit“ zu finden, die ihr wichtig ist.

Cover des Bandes SPRING #20 - „Togetherness“, Mairisch Verlag 2023, Deutsch mit englischen Untertiteln, 276 Seiten, 26,00 €
Cover des Bandes SPRING #20 – „Togetherness“, Mairisch Verlag 2023, Deutsch mit englischen Untertiteln, 276 Seiten, 26,00 €
© www.mairisch.de

Dass einigen der befragten Figuren bei Anne Vagt nichts zum Thema einfällt oder sie nicht wirklich interessiert sind, weist in eine ähnliche Richtung wie der Beitrag der Berliner Illustratorin Kati Szilàgyi. Ist in den Blasen sozialer Netzwerke und Mikrokosmen des Alltags unser Sinn für Gemeinschaft verloren gegangen? In „Stadteinsamkeit“ beschreibt sie den Alltag einer Künstlerin, die alleine am Schreibtisch arbeitet und nur über das Smartphone sozial interagiert. Persönliche Kontakte bleiben selbst im Club in der Distanz, sie ist den ganzen Tag allein.

Damit spielt sie auf ein Thema an, das auch die 2022 gegründete Comicgewerkschaft aufgreift. Die Künstler:innen benennen die Vereinzelung offen als Problem: „Wir arbeiteten oft vereinzelt, kämpften allein und die prekären Verhältnisse ließen uns oft sprachlos zurück. Als Gewerkschaft wollen wir diese Sprachlosigkeit beenden“, heißt es dazu auf der Selbstbeschreibung der Webseite. Passend mit dem Wahlspruch: „Raus aus der Vereinzelung!“ ist die Comicgewerkschaft unter den künstlerisch gestalteten Anzeigen im Anhang des Bandes vertreten.

Die Hamburger Comicautorin Birgit Weyhe setzt sich in ihrem kurzen Comic „Better Together“ direkt mit der Comicgewerkschaft auseinander. Wie die österreichische Comickünstlerin Ulli Lust ist sie als Gast-Zeichnerin Teil von „Togetherness“. In den Spring-Anthologien sind in der Regel sowohl Spring-Zeichnerinnen als auch Gäste vertreten.

Ich hatte immer das Gefühl: Spring ist mehr als Summe der einzelnen Teile.

Larissa Bertonasco, Illustratorin bei SPRING

Nach dem Erscheinen dieses Jubiläumsbandes plant das Kollektiv eine Schaffenspause, in der die Künstlerinnen sich unter anderem darauf besinnen wollen, wie es mit Spring weitergehen soll. „Wir schauen auf eine starke Entwicklung zurück“, sagt die im Hamburg tätige Zeichnerin Larissa Bertonasco im Gespräch mit dem Tagesspiegel, die seit der Gründung dabei ist. „Ich hatte immer das Gefühl: Spring ist mehr als Summe der einzelnen Teile. Es ist schon bewundernswert, dass es uns und die Anthologien so lange gibt.“ 

Spring bezeichnet sich selbst als nicht-kommerziell, die Einnahmen aus dem Verkauf der Bücher fließen in die neue Produktion. Seit der zwölften Ausgabe erscheinen die Anthologien beim Mairisch-Verlag. Jetzt, nach 20 Jahren, sei es Zeit, innezuhalten und Fragen zu stellen, zum Beispiel zu besprechen, worum es bei Spring gehe, auch politisch, so Bertonasco. „Wir haben uns 2004 als Frauenkollektiv gegründet. Es geschah aus der konkreten Erfahrung heraus, dass es ein feministisches Kollektiv wurde. Mit der Frage ‚Was definiert mich eigentlich als Frau?’ hat der feministische Diskus jetzt eine Drehung bekommen“, erläutert Larissa Bertonasco. 

Im Jubiläumsband widmet sie sich der „Togetherness“ mit einer Ode an das sprichwörtliche Abhängen in Hängematten, das so entspannt nur mit wirklich guten Freunden möglich ist, wie sie findet. „Es ist eine persönliche Geschichte über Freundschaft“, sagt sie. „Manche sagen, man braucht im Leben eine Beziehung oder eine:e Partner:in. Ich finde, man braucht einen Freund oder eine Freundin, mit der oder dem man einfach abhängen kann.“

Spring war für mich immer ein Herzensprojekt. Vor allem wegen der Gemeinschaft, mit der ich im engeren Austausch bin.

Stephanie Wunderlich, Illustratorin bei SPRING

Für die in Hamburg lebende Illustratorin Stephanie Wunderlich ist es klar, dass sie weitermachen will mit Spring. „Spring war für mich immer ein Herzensprojekt. Vor allem wegen der Gemeinschaft, mit der ich im engeren Austausch bin“, sagt sie. Der Austausch bei der Planung der neuen Veröffentlichungen und Ausstellungen bilde einen Gegensatz zu ihrer Arbeit als Illustratorin, in der sie viel allein sei.

Die gemeinsame Arbeit empfindet Stephanie Wunderlich, die seit 2008 Teil von Spring ist, auch bereichernd für ihre Auftragsarbeiten. „Ich habe meine Bildsprache geändert, bin etwas konzentrierter und grafischer geworden“, sagt sie. An der Arbeit für die Anthologien schätzt sie auch „die Freiheit, mich ohne konkreten Auftrag ausrücken zu können.“ 

In ihrem Beitrag „Assessment Center“ setzt Stephanie Wunderlich verschiedene Gruppen in einem Raum einem Experiment aus. Auf dem Tisch entwickelt sich ein Brandherd, das Feuer wächst, daneben passiert einiges im Raum, nur nichts, um den Brand zu löschen. Auf welches global brennende Problem sie wohl anspielt, für das sich niemand so richtig zuständig zu fühlen scheint?

Herausragend auch der Comic-Essay „Wer hat Angst vor Maren Kroymann?“ von Julia Bernhard über die medizinische und gesellschaftliche Unterrepräsentation zur Menopause. So stellt die in Berlin lebende Zeichnerin heraus, dass es grundsätzlich nicht nur eine hohe Toleranz gegenüber dem Leid von Frauen gebe, sondern viele Frauen im Rahmen der Menopause „erhebliche Probleme“ hätten, die „falsch, nur symptomatisch oder gar nicht behandelt werden, weil sie nicht korrekt als Wechseljahrsbeschwerden erkennt werden.“

Schön gewesen wäre im Jubiläumsband ein Blick auf die „Togetherness“ des Kollektivs selbst. Der bleibt leider aus. Dafür bietet der sehenswerte Dokumentarfilm „Spring – A Documentary“ von der Spring-Künstlerin Moki Einblicke in die Arbeit der Gruppe und der einzelnen Protagonistinnen. Premiere feiert er am 19. Oktober im Kino Central in Berlin-Mitte, in Hamburg am 8. Dezember im Kino B-Movie. Außerdem wird er anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Togetherness – 20 Jahre Spring Kollektiv“ in der Neuköllner Galerie Neurotitan vorgeführt. Bei der Ausstellung zeigen die Künstlerinnen bis November weitere Arbeiten zum Thema, die nicht in der Anthologie zu sehen sind.