Verdi, der Vielseitige
Giuseppe Verdis künstlerisches Leben war der Opernbühne gewidmet. Sein Ruvre für den Konzertsaal ist überschaubar, wenn auch nicht ganz so schmal wie das von Richard Wagner. Die Berliner Philharmoniker ermöglichen es jetzt, diesen „anderen“ Verdi kennenzulernen, mit Daniel Barenboim am Pult. Diese Musik ist von musiktheatralischer Dramatik durchzogen, emanzipiert sich aber immer wieder auch verblüffend weit von ihr (noch einmal heute, 8. Januar, 19 Uhr).
Am Beginn steht Verdi, wie man ihn kennt, mit der Ouvertüre zu „Les Vêpres siciliennes“: ein Potpourri genialer Melodien. So viele „richtige“ Ouvertüren hat der Komponist gar nicht geschrieben, vor allem im Spätwerk lässt er sie ganz weg, steigt umstandslos in die Handlung ein. Hier aber werden – wie das bei einer ordentlichen Ouvertüre zu sein hat – die markantesten Themen und Motive auf dem Silbertablett präsentiert und von den Philharmonikern dargereicht, mit von zärtlich nach robust changierenden Dynamikschattierungen.
Das Streichquartett wurde zum Orchesterstück aufgepustet
Im Streichquartett von 1873 bewies Verdi, dass auch Italiener in der als „deutsch“ geltenden reinen Instrumentalmusik Wesentliches schaffen können – und zeigte sich als Kenner der Tradition von Palestrina bis Mozart. Den Engländern genügte das nicht: Für ein Konzert in London wurde, angeblich mit Billigung Verdis, eine Orchesterfassung erstellt, die jetzt auch die Philharmoniker aufführen. Der Sinn der Maßnahme erschließt sich nicht, allen Bemühungen der Streicher zum Trotz, weiterhin vier distinktive Stimmen zu bieten. Was auf der Strecke bleibt, ist der Kern aller Kammermusik- Kunst, die intime, gewitzte und eben dadurch welthaltige Konversation. Sie verschwimmt in einem ungefähren, verwaschenen Klangbild. Dass Daniel Barenboim keine erkennbare Lesart vorzuschweben scheint, hilft auch nicht.
Doch dann, nach der Pause, der Rundfunkchor Berlin, erneut ein Stimmereignis und das prägende Element der „Quattro pezzi sacri“, mit denen sich Verdi in seinen letzten Jahren, noch nach „Falstaff“, einer unerwarteten, für sein Leben untypischen Religiosität zugewandt hat. Einstudiert hat die „Vier Stücke“ Simon Halsey, bereits im Herbst. Jetzt konnte er wegen der Coronalage nicht aus Großbritannien einreisen. So hat Justus Barleben dem Chor den letzten Schliff verpasst, mit goldschimmernden Sopranen im „Stabat Mater“. Ein Wunder an Überblendung, Verschmelzung, Rücknahme, das sich mit dem Orchesterklang paart und im „Te Deum“ in einem nackten, bloßen Grundton E verdämmert. Verdis letzte, wunderliche, illusionslose Töne, die unopernhafter nicht sein könnten.