So zärtlich ist die Komik
Dieser Frühlingstag im Paris des Jahres 1954 sollte in die Comic- und auch Literaturgeschichte eingehen. Der spätere Asterix-Autor René Goscinny lernt an diesem Tag den Zeichner Jean-Jacques Sempé kennen, und wie Sempé sich im Nachhinein erinnerte, war Goscinny „eben mit dem Schiff aus den USA herübergekommen, was mich damals schwer beeindruckte“.
Allerdings war Goscinny zu dem Zeitpunkt nach seinen New Yorker Jahren schon länger wieder in Europa sesshaft geworden, in Brüssel zunächst. Vermutlich ließ Sempé diesbezüglich die Erinnerung etwas im Stich. Was jedoch unbestreitbar ist: „Wir wurden Freunde. (…) Er war mein erster Freund in Paris. Wenn nicht mein erster Freund überhaupt. Es war der Humor, der uns verband.“
Nachdem Sempé vor dieser Begegnung schon damit angefangen hatte, humoristische Bilder mit einem kleinen Jungen als Helden zu zeichnen, dachte sich Goscinny dann die Geschichten dazu aus. So kam es zu den „Abenteuern des kleinen Nick“, zunächst noch als Comic-Strip, später als illustrierte Erzählungen, mit denen mehr noch als der 1977 verstorbene Goscinny Jean-Jacques Sempé weltberühmt wurde. Allein die allererste, erschienen am 25. September 1955 in dem belgischen Magazin „Le Moustique“, weist daraufhin, was später in Hunderten von Nick-Geschichten folgen sollte. Der kleine Nick bekommt eine Trommel geschenkt. Sein Gesichtsausdruck ist freudestrahlend, naiv, entschlossen; die Ratlosigkeit, gerade was die Erwachsenen betrifft, ist noch nicht zu erkennen. Sehr wohl aber der heiter-subtile Zeichenstrich von Sempé. Natürlich probiert Nick die Trommel. Was die Eltern verstört und aufscheucht, die Nachbarn erst recht, dahingehend, dass die Erwachsenen laute Diskussionen führen – und der kleine Nick lautstark um Ruhe bittet.
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Man kann gar nicht anders als den kleinen Nick gern haben, ihn bewundern, wie er sich mit den Malaisen des Alltags arrangiert, ihm Glück wünschen, selbst wenn er Mist baut. Die Komik ist hier oft eine naturgemäß heitere, und doch liegt da immer etwas dahinter, etwas Unbenennbares, ohne dass es düster, gar schwarz werden würde. In erster Linie sei es beim kleinen Nick stets um Freundschaft gegangen, so Sempé. Doch im Subtext laufen stets familiäre Zwistigkeiten und die Sehnsucht nach einem Behütetsein, Wohlaufgehobensein mit. Was in Jean-Jacques Sempés Kindheit und Jugend nicht der Fall war.
Geboren 1932 in Pessac bei Bordeaux, wuchs der Junge in ungeordneten Verhältnissen auf: bei einer Mutter, die ständig Geldprobleme hatte, und einem alkoholkranken Stiefvater, der als Lebensmittelhändler die kleine Familie durchzubringen versuchte.
Seine Kindheit habe vor allem aus „Prügelei, Streit, Schulden und überhasteten Umzügen bestanden“, erzählte Sempé in Interviews. Wegen schlechten Betragens flog er in Bordeaux von der Schule, dem Collège Moderne, schlug sich dann mit verschiedensten Jobs durch, um im Alter von 18 Jahren zum Militärdienst eingezogen zu werden und in Paris zu landen. Seine ausgeprägte Zeichenbegabung war schon den Lehrern seiner Schule aufgefallen, und der junge Jean-Jacques Sempé beginnt dann in Paris als Karikaturist für Presseagenturen und Zeitschriften zu arbeiten, darunter „Paris Match“ oder „Marie Claire“, unermüdlich und enorm produktiv. Dem kleinen Nick, seinem besten Freund, bleibt er lange treu, auch als die Bände lange zu Klassikern der Kinderliteratur geworden sind. Bei den Zeitschriften allerdings machte er nur noch für den „New Yorker“ eine Ausnahme, für den er über fünfzig Cover und unzählige Karikaturen zeichnete.
Ganz großartig sind auch die Bücher, die dieser lebenszugewandte Franzose zum einen mit seinem Landsmann, dem Schriftsteller Patrick Modiano, gemacht hat, „Catherine, die kleine Tänzerin“, und zum anderen mit seinem Verlagskollegen Patrick Süskind, „Die Geschichte des Herrn Sommer“. Beides sind Geschichten von kleinen, nicht besonders glücklichen, aber tapferen, sich wacker durchs Leben schlagenden Menschen.
„Ich halte“, hat einmal Sempé gesagt, „die Menschen für sehr tapfer. Das Leben ist eigentlich zu schwer für uns. Immerzu müssen wir Ängste überwinden. Aus diesen Ängsten schöpfen wir ungeheure Kräfte. Und diese Kräfte können sehr komisch sein. Ich hoffe, dass man meine Zeichnungen nicht als einen Ausdruck von Schadenfreude missversteht. Es ist nicht mein Ziel, mich lustig zu machen über die Menschen.“
Der Band, den der Diogenes Verlag jetzt gewissermaßen als Sempés Vermächtnis herausbringt (er ist von 1990), bestätigt die obigen Sätze: „Endliche Ferien“ heißt er und steckt voller sommerlicher Zeichnungen und Szenen am Meer, alle in ein sanft-blasses, fast milchiges Licht getaucht. Die Menschen, die auf den Bildern zu sehen sind, genießen die Ferien, fast gehen sie verloren in den jeweiligen Umgebungen. Immer ist eine leichte Melancholie zu spüren, ein Anflug von Einsamkeit, und doch merkt man die große Sympathie, die Sempé für sie hat, wie sehr er ihnen ihre Ferien gönnt. Am Donnerstag ist Jean-Jacques Sempé, wie sein Biograf Marc Lecarpentier mitteilte, an seinem Ferienort in Südfrankreich gestorben, nur wenige Tage vor seinem 90. Geburtstag.