Nachruf auf Jane Birkin: Sie war mehr als nur eine Stilikone

Der Preis, den eine junge Frau, die kompromisslos ihre Freiheit auslebt, in den späten sechziger Jahren zu zahlen gewillt sein musste, hat sie zeit ihres Lebens gewurmt. Noch in jüngeren Interviews betonte Jane Birkin stets, dass sie zu lange auf ihre Rolle als Sexsymbol der „Swinging Sixties“ reduziert worden war – ein Image, mit dem sie sich nie identifizieren wollte.

Dieses Bild ging ohnehin ausschließlich auf Männer zurück. Auf den Regisseur Richard Lester etwa, der sie für „Der gewisse Kniff“ 1965 in London entdeckte. Zwei Jahre später stand sie dann in Michelangelo Antonionis „Blow Up“ nackt vor der Kamera (ihre Rolle hieß nur „die Blonde“), und in „Der Swimmingpool“ spielt sie neben Alain Delon und Romy Schneider einen Teenager, der den Freund des Vaters zu verführen versucht. 

Mit „Je t’aime“ zum Star

Und dann war da natürlich das Skandalstück „Je t’aime… moi non plus“ von 1969 mit ihrem damaligen Freund Serge Gainsbourg, den die 22-Jährige kurz zuvor am Set des Liebesfilms „Slogan“ kennengelernt hatte. Der Chanson gewordene Sextalk zwischen Birkin und ihrem 18 Jahre älteren Lover, inklusive Orgasmusstöhnen, wurde ihr größter Hit, war gleichzeitig aber auch aus den Programmen von spanischen, britischen, schwedischen, italienischen etc. Radiostationen verbannt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Lange vor den Eskapaden von Popstars wie Madonna oder Britney Spears war das ein durchaus problematisches Vermächtnis. Aber eben auch der Auftakt für turbulente 13 Jahre mit dem Skandalpärchen, das legendäre Partys im Pariser Nachtclub Le Palace feierte – bis Birkin der Alkohol- und auch physische Missbrauch von Gainsbourg reichte und sie sich 1980 trennte.

Das Enfant Terrible Gainsbourg war da schon in den Stand des „genialen Dichters“ (Birkin) erhoben. Die Britin Birkin aber – mit ihrer charakteristischen Zahnlücke, ihrer dahingehauchten Stimme und ihrer eigenwilligen Interpretation der französischen Sprache (das „Birkin-Kreolisch“, wie ihr späterer Partner Olivier Rolin einmal schrieb) – hatten die Franzosen als Nationalheilige adoptiert.

Birkin war schon in jungen Jahren nicht naiv, was ihr Image anging. In ihren Teenager-Tagebüchern, die 2019 unter dem Titel „Munkey Diaries“ (benannt nach ihrem Spielzeugäffchen) veröffentlicht wurden, ließ sie durchblicken, dass das Unschuldige nur eine weitere Rolle sein könnte.

Hermès widmete ihr die „Birkin Bag“

Jane Mallory Birkin, geboren 1946 in London als Tochter eines Marineoffiziers und der Theaterschauspielerin Judy Campbell, wuchs privilegiert auf. Als Kind wurde sie noch für ihre androgyne Figur, die kurze Zeit später zum It-Look einer ganzen Generation werden sollte, gehänselt. Mit 17 lernte Birkin den Bond-Komponisten John Barry kennen und heiratet ihn; mit 22 war sie – rechtzeitig zum Boom des „Swinging London“ – wieder geschieden und zurück in England.

Alain Delon und Jane Birkin in Jaques Derays Erotik-Thriller „Der Swimmingpool“.
Alain Delon und Jane Birkin in Jaques Derays Erotik-Thriller „Der Swimmingpool“.
© imago images / United Archives

Stilikone ist noch so eine wenig schmeichelhafte Bezeichnung, die Jane Birkin ein Leben lang anhaftete. (1984 widmete ihr Hermès-Chef Jean-Louis Dumas die „Birkin Bag“.) Die 1970er Jahre hindurch stand sie noch unter dem Einfluss von Gainsbourg, die Rolle der Muse begann sie erst langsam, ab 1980 in der Beziehung mit Jacques Doillon, hinter sich zu lassen.

Nie wieder nackt vor der Kamera

Über ihre gemeinsamen Filme sagt sie später, dass Doillon der erste Regisseur gewesen sei, der sie nicht nackt habe filmen wollen. „La fille prodigue“ von 1981 nannte sie später auch ihre erste ernstzunehmende Arbeit als Schauspielerin; es folgten Filme mit Regiegrößen wie Jacques Rivette, Agnes Varda und Alain Resnais. Trotzdem trennten sich die beiden nach der Geburt von Tochter Lou in den 1990er Jahren, weil Gainsbourgs Tod, so erzählt Doillon, ihre Beziehung überschattet habe.

Serge Gainsbourg blieb der Fixpunkt in Birkins Leben. Noch in den vergangenen Jahren ließ sie seine Kompositionen für ein Orchester arrangieren und ging mit diesen Liedern auf Tour. Der französische Barock-Pop hatte auch in der Generation Spotify ein Publikum gefunden. Beim Auftritt auf dem Primavera Festival in Barcelona erzählte Birkin 2018 gerührt, dass das auch ihrem Serge gefallen hätte.

Charlotte Gainsbourg hat 2021 einen Dokumentarfilm über ihre Mutter Jane Birkin gedreht.
Charlotte Gainsbourg hat 2021 einen Dokumentarfilm über ihre Mutter Jane Birkin gedreht.
© IMAGO/ABACAPRESS

Damals stand sie mit ihrer Tochter Charlotte vor den Journalisten und sprach bereits über den Tod: Sie bereute, dass sie ihre Mutter zu Lebzeiten nie um Rat gefragt hatte. Birkins älteste Tochter Kate aus der Ehe mit Barry war fünf Jahre zuvor tödlich verunglückt.

Eine Kollaborateurin von ganzem Herzen

Die Verbundenheit mit den Menschen, mit denen sie lebte, wirft noch mal ein anderes Licht auf den latenten Vorwurf des Musentums. Denn Birkin war von ganzem Herzen eine Kollaborateurin. Wohl in keiner ihrer Arbeiten lässt sich das schöner beobachten als in „Jane B. par Agnès V.“ und „Kung Fu Master“ (1987/88), den beiden Filmen mit der Regisseurin Agnes Varda.

„Jane B. par Agnès V.“ ist nur nominell ein filmisches Porträt über Birkin, die Schauspielerin ist genauso Autorin wie die Regisseurin zur Darstellerin ihrer eigenen Hommage wird. Bei ihrer Vertrauten Varda darf sie sich die Rollen, die sie schon immer einmal spielen wollte, aussuchen – von Tarzans Jane bis zu Joan d’Arc. Birkin, gerade 40 geworden, legt ihre Wünsche und Unsicherheit in diesem Film offen, beschützt und geführt von Varda. Zwei Frauen, die das französische Kino, aber auch das Bild von Frauen jede auf ihre Weise geprägt haben.

Die letzten Jahre hatte sich der gesundheitliche Zustand von Jane Birkin schon verschlechtert. Bereits vor gut zehn Jahren wurde bei ihr Leukämie diagnostiziert, danach tourte sie noch gelegentlich. Nach einem Schlaganfall im Oktober 2021 wurden ihre öffentlichen Auftritte seltener. Im selben Jahr feierte Charlotte Gainsbourgs Film „Jane By Charlotte“ über ihre Mutter seine Premiere. Am Sonntag starb Jane Birkin im Alter von 76 Jahren in Paris. Mit 32 Jahren Verspätung ist Bonnie nun ihrem Clyde gefolgt.