Comicreihe „Fungirl“ von Elizabeth Pich: International ein Erfolg, zu Hause ein Geheimtipp

Mit ihrer Comicreihe „Fungirl“ hat die Saarbrücker Zeichnerin Elizabeth Pich in den vergangenen zwei, drei Jahren im Ausland viel Aufmerksamkeit bekommen. Die durchgedrehten Alltags-Abenteuer ihrer unkonventionellen Comic-Heldin werden vor allem in der englisch- und französischsprachige Comicszene in Nordamerika und Europa gefeiert.

Die mit überdrehtem Witz, schwarzhumorigen Tabubrüchen und expliziten Sex-Szenen gespickte Episoden-Erzählung hat begeisterte Kritiken in einflussreichen Medien wie „Publishers Weekly“ bekommen und schaffte es vor zwei Jahren sogar in die US-Fernsehnachrichten, als ein paar Exemplare der ausdrücklich nur für Erwachsene gedachten Hefte beim „Free Comic Book Day“ in die Hände nichtsahnenden Kinder gelangten und deren Eltern Moral-Alarm schlugen.

Die anfangs im Selbstverlag publizierten „Fungirl“-Comics erscheinen inzwischen bei mehreren Verlagen auf Englisch, Französisch und Italienisch, online lassen sie sich unter anderem auf tumblr und Instagram lesen. Und auf dem an diesem Wochenende in Montréal stattfindenden Comicfestival FBDM ist der „Fungirl“-Sammelband als bester internationaler Comic nominiert.

Nur eine deutsche Ausgabe der Reihe sucht man bislang vergeblich.

Zwischen Selbstüberschätzung und Selbsthass: Eine Seite aus „Fungirl“.
Zwischen Selbstüberschätzung und Selbsthass: Eine Seite aus „Fungirl“.
© Elizabeth Pich / Silver Sprocket

Wieso? Die Antwort auf die Frage sagt einiges über die Mechanismen des deutschen Comicmarktes aus – und möglicherweise auch über das deutsche Verständnis von Humor.

Zwischen Olivia, Gaston und „Hexe total“

Hauptfigur von „Fungirl“ ist eine junge Frau, die mit ihrer schlaksigen Erscheinung und ihren Stimmungsschwankungen an die launige Olivia erinnert, die Verlobte des Comic-Seemans Popeye. Auf ihrer an Rückschlägen reichen Suche nach Glück, sexueller Erfüllung und ihrem Platz in dieser Welt stolpert sie wie einst André Franquins Comic-Pechvogel Gaston von einem Slapstick-Missgeschick zum nächsten.

Ihre zwischen Selbstüberschätzung und Selbsthass schwankende Eigenwahrnehmung erinnert stellenweise an Anna Haifischs Künstler-Vogel in „The Artist“. Und mit ihrem nihilistischen Humor und ihrer Mir-doch-egal-Attitüde würde Fungirl auch gut ins Figurenensemble der Kiffercomic-Reihe „Hexe total“ von Simon Hanselmann passen, die international schon ein paar Jahre länger gefeiert wird.

Fungirl versöhnt mich mit vielen meiner Sünden und den Sünden meiner Vorfahren – sie ist unzerstörbar.

Elizabeth Pich 

„Für mich ist es Spaß und Trost, eine Figur zu haben die ich ins Fegefeuer schicken kann, aber die immer wieder unbeschadet rauskommt und überlebt“, sagt Elizabeth Pich im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Sie versöhnt mich mit vielen meiner Sünden und den Sünden meiner Vorfahren – sie ist unzerstörbar.“

Zeichnerisch arbeitet Pich, die Deutsch-Amerikanerin ist und sich vor „Fungirl“ vor allem durch den zusammen mit Jonathan Kunz geschaffenen Webcomic „War and Peas“ eine treue internationale Fangemeinde aufgebaut hat, mit radikal reduzierten Figurendarstellungen, die Gesichter bestehen oft nur aus zwei Augen.

Elizabeth Pich und Jonathan Kunz sind mit der Reihe „War and Peas“ international erfolgreich.
Elizabeth Pich und Jonathan Kunz sind mit der Reihe „War and Peas“ international erfolgreich.
©  Lars von Törne

Eine leuchtende Pastellkolorierung gibt den Panels eine freundliche Anmutung, die immer wieder durch die überdrehte Handlung konterkariert wird, in der Fungirl mit Vorliebe gesellschaftliche Konventionen missachtet und die Schmerzgenzen der sie umgebenen Menschen überschreitet. Sex, Gewalt und der Tod sind hier allgegenwärtig, allerdings auf so spielerische Weise, dass es trotz mancher Schockmomente auch viel zu lachen gibt.

Liegt es an dieser Mischung, dass „Fungirl“ in ihrem Herkunftsland nach wie vor ein Geheimtipp ist?

Wir müssen das Publikum für intelligente Comics und intelligenten Humor hierzulande erst noch schaffen.

Dirk Rehm, Reprodukt-Verlag

„Ich kann da nur Vermutungen anstellen“, sagt Elizabeth Pich. In Deutschland tendiere man eher zu ernsten Graphic Novels, die gewichtige Themen behandeln. „Da sind die triebgesteuerten Abenteuer einer Versagerin vielleicht nicht erbaulich genug.“ Humor stehe – zu Unrecht – hierzulande immer noch im Verdacht seicht und kindisch zu sein.

Beim Toronto Comic Arts Festival (TCAF) hatte der Verlag Silver Sprocket im April 2023 mit „Fungirl“ einen prominenten Platz in der Haupthalle der Veranstaltung.
Beim Toronto Comic Arts Festival (TCAF) hatte der Verlag Silver Sprocket im April 2023 mit „Fungirl“ einen prominenten Platz in der Haupthalle der Veranstaltung.
© Lars von Törne

„Comics versuchen sich seit einiger Zeit als Erwachsenenliteratur zu etablieren, was ich sehr begrüße“, sagt Pich. „Aber ich denke, dass wir im Zuge dessen vielleicht Geschichten skeptisch gegenüberstehen, die einfach nur genüsslich entertaining sind.“

Sollte „Fungirl“ eines Tages doch noch bei einem deutschsprachigen Verlag erscheinen, lasse sie sich aber auch gerne eines Besseren belehren: „Vielleicht schätze ich die Lage total falsch ein und sie landet auf Geheiß der nächsten Bundeskanzlerin direkt auf der Liste der Pflichtlektüren fürs Abitur.“

Eine weitere Szene aus „Fungirl“.
Eine weitere Szene aus „Fungirl“.
© Elizabeth Pich / Silver Sprocket

Aus Sicht von Dirk Rehm, Gründer und Leiter des Berliner Reprodukt-Verlags, sagt das Phänomen „Fungirl“ einiges über den nach wie vor im internationalen Vergleich überschaubaren deutschen Comic-Markt aus: „Ich mag ihre Comics und ihren Humor, das ist nicht das Problem“, sagt Rehm, der „Fungirl“ auf dem Schreibtisch hatte, aber eine deutsche Ausgabe abgelehnt hat. „Das Problem ist der immer noch viel zu kleine deutsche Markt für Comics wie die von Simon Hanselmann, der vom Humor vergleichbar ist.“ In Deutschland müsse sich ein „Publikum für intelligente Comics und intelligenten Humor“ erst noch entwickeln: „Das gibt es hierzulande wirklich nur in einer schwindend geringen Leserschaft.“

Das zeige sich auch bei anderen Comics international erfolgreicher Autoren wie Daniel Clowes oder Adrian Tomine: „Wenn wir die auf Deutsch veröffentlichen, sind die Verkaufszahlen gering, trotz des internationalen Renommees, das die beiden mitbringen.“

Dazu komme, dass das auf derartige Comics spezialisierte Publikum meistens sehr gut Englisch spreche und die Comics im Original lese. „Wir sind daher generell sehr vorsichtig damit, amerikanische Autor:innen ins Programm zu nehmen.“ Wenn „Fungirl“, das in den USA im Verlag Silver Sprocket veröffentlicht wird, keinen englischsprachigen Verlag gehabt hätte, „hätten wir vielleicht anders agiert, aber so wie die Situation ist und sie ihre Comics sowieso mit dem Blick auf den amerikanischen und englischsprachigen Markt konzipiert, macht eine deutsche Ausgabe für uns wenig Sinn.“

Die englischsprachigen Ausgaben sind immer die größte Konkurrenz für die deutschen Adaptionen.

Steffen Volkmer, Panini-Verlag

Ähnlich sieht das Steffen Volkmer vom Stuttgarter Panini-Verlag, der vor gut drei Jahren eine deutsche Ausgabe von „War & Peas“ veröffentlicht hat, die sich allerdings nicht so gut wie erhofft verkaufte: „Die Gründe hierfür sind natürlich schwer auszumachen“, sagt er. „Die Erstveröffentlichung quasi direkt vor den Pandemie-Lockdowns mag ein Grund sein.“

Der Hardcover-Sammelband „Fungirl“ und das Heft „Fungirl – Vulva Viking“ sind die beiden jüngsten Veröffentlichungen der Reihe in Nordamerika.
Der Hardcover-Sammelband „Fungirl“ und das Heft „Fungirl – Vulva Viking“ sind die beiden jüngsten Veröffentlichungen der Reihe in Nordamerika.
© Silver Sprocket

Vermutlich sei aber der größere Faktor der Erfolg als englischsprachiges Online-Phänomen. Elizabeth Pich und Jonathan Kunz hätten „War and Peas“ in englischer Sprache gestartet zu einem internationalen Erfolg gemacht. „Die englischsprachigen Ausgaben sind immer die größte Konkurrenz für die deutschen Adaptionen, vor allem, wenn die Fangemeinde hierzulande auf dem Original aufgebaut wurde.“

Das zeige sich zum Beispiel auch bei der Comicreihe „Doctor Who“: „Da gab es so lange kein deutschsprachiges Material, dass es heute sehr schwierig ist, die hiesige Fangemeinde für deutschsprachige Versionen zu begeistern.

„Fungirl“ ist nicht der einzige international erfolgreiche Comic, der es in Deutschland schwer hat.
„Fungirl“ ist nicht der einzige international erfolgreiche Comic, der es in Deutschland schwer hat.
© Elizabeth Pich / Silver Sprocket

Bei „War and Peas“ komme dann noch dazu, dass die Strips in Englisch alle digital verfügbar sind. „So gibt es zwar eine kleine Leserschaft für die deutschsprachige Buchausgabe, aber der Hauptteil der hiesigen Fans ist anscheinend doch so stark mit dem Original verbunden, dass sie diese Version vorziehen und dann auch lieber digital konsumieren.“

Wenn es das Buch auf Englisch gibt, muss man keine deutsche Ausgabe mehr machen.

Johann Ulrich, avant-Verlag

„Wenn es das Buch auf Englisch gibt, muss man keine deutsche Ausgabe mehr machen“, sagt auch Johann Ulrich, Gründer und Leiter des Berliner avant-Verlages, der sich „Fungirl“ ebenfalls auf eine mögliche deutsche Ausgabe hin genauer angeschaut hatte. „Das Original-Buch ist auch hier verfügbar und ist billiger als wir es in Lizenz machen könnten.“ Das sei in Frankreich und Italien anders.

Unterschiedliche Comic-Kulturen

Für Elizabeth Pich, die einige Jahre als Comic-Dozentin an der Kunsthochschule Saarbrücken gearbeitet hat, sagt die unterschiedliche Resonanz auf ihre Reihe auch einiges über die Comic-Kulturen der betreffenden Länder. „Als ich zum ersten Mal in Frankreich auf einem Comic-Festival war, haben sich die Wolken geteilt und Engelschöre haben gesungen“, erinnert sie sich. „Die Leute schienen auf alle Arten von Comic Bock zu haben: Auf die tiefgründigen, geschichtsträchtigen Comics, auf Abstraktes, auf Horror, und auch auf ungezügeltem Humor.“

Comics hätten dort ein gutes Standing, werden von einer breiteren Öffentlichkeit gelesen. „Sie werden als Medium begriffen und nicht als Genre misskategorisiert.“ Sie hofft, dass das eines Tages auch in Deutschland so sei: „An einem Mangel an fantastischen Büchern und talentierten Autor:innen liegt es zumindest nicht.“

Vielleicht liegt es im Fall von „Fungirl“ ein wenig auch daran, dass der Comic zwar in Saarbrücken entsteht, aber Elizabeth Pich die ersten 14 Jahre ihres Lebens in den USA aufgewachsen ist und kulturell entsprechend geprägt wurde.

„Englisch ist immer noch meine Sprache der Wahl“, sagt sie. „Meine humoristische Erziehung hat in den USA stattgefunden.“ Sie sei mit Mike Myers und Adam Sandler sowie Sitcom-Serien wie „Daria“ und „The Nanny“ großgeworden. „So haben sich viele Witze und Dialoge erst auf Englisch materialisiert und ich glaube Leser:innen spüren das.“ Auch wenn sie im Fall von „War and Peas“ die deutsche Übersetzung sehr gelungen finde und teilweise noch witziger als das Original: „Deutsch hat eine derbe Härte, die bei manchen Witzen noch besser durchschlägt.“