Das simple Glück des Augenblicks feiern

Wenn man wie Isaac Brock glaubt, dass Pilze an allem schuld sind, ist es vermutlich ein Ding der Unmöglichkeit, wieder in die Spur zurückzufinden. Aber genau das versucht dieser König der Trailerparks und Kopf der Band Modest Mouse energischer denn je.

Er hat genug von den schlechten Acid-Trips, den Abenteuern als fahrender Musiker, dem Mühlrad-Dasein eines zu grob geratenen Sensibelchens. Er will nach Hause. „I need to go now.“ Auch wenn’s spießig ist.

Eine mildere Art der schlechten Laune

Was für ein Unterschied zu 2007, als derselbe Isaac Brock von den „good times“ schwärmte, die ihn killen würden, all den Drogen, von denen er nicht genug bekam und es „für einen guten Plan“ hielt, zugedröhnt durch die Landschaft zu düsen. Noch 2015 feierte er, dass der Lampenschirm in Flammen aufging: „Das nenne ich mal eine gelungene Party!“

Nun killt er die „good times“, ersetzt Zynismus durch eine mildere Art der schlechten Laune. Der Mensch sei ohnehin bloß eine Zwischenstufe vom Staub zu den Sternen, grantelt er in „We Are Between“ vom neuen Album „Golden Casket“ (Sony).

Einer verlässt die Party, weil er sie öde findet. Soll er doch. Aber wer nun meint, dass es bei Brock zu Hause weniger irrsinnig zuginge, hat das Wesen seiner Vorstellung von „Home“ nicht verstanden – und nicht die Zeiten, in denen ein solcher Rückzug erzwungen ist.

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Nach neun Alben, die Modest Mouse seit ihrem Debüt 1997 aufgenommen haben, ist Brocks cholerischer Tonfall, verletzlich und überspannt, mit dem er um elementare Wahrheiten kämpft, immer noch ein Schock. Ein Schreihals, der um Ruhe bittet. „Um Politik kann ich mich nicht kümmern“, ruft er in „Never Fuck A Spider On A Fly“, „und sie sich nicht um mich.“ Das kaputte, größenwahnsinnige Ego hat in Brock seinen Poeten auch jetzt, da er um Seelenfrieden ringt. „Du liegst nicht falsch, die Dinge sind im Argen“, heißt es in „The Sun Hasn’t Left“, „aber da ist noch was anderes übrig.“

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Was das sein könnte, davon kündet „We’re Lucky“, ein als A-Capella-Gebet anhebender Song über die einfachen Dinge, die es zu achten gilt. Der klare Sternenhimmel etwa, das Gefühl eines Bettlakens auf der Haut. Und der Philosoph verknoteter Empfindungen orakelt: „It takes a lifetime to ever figure out that there / There ain’t no lifetime that’s ever figured out.“

So wendet sich bei Brock das simple Glück des Augenblicks in etwas Großes, Vergebliches, das in der jubilierenden Musik sein Echo hat. Keine Band kann so herrlich wild und unglamourös austicken wie Modest Mouse.

Vor 14 Jahren kamen sie an die Spitze der US-Charts

Als Trio in Issaquah, Washington, 1993 gegründet, taten sich Brock an der Gitarre, Eric Judy am Bass und Schlagzeuger Jeremiah Green zunächst schwer, ihrer raubeinigen Gangart ein bisschen Charme zu verleihen. Bands derselben Indie-Generation wie Death Cab for Cutie und The Shins kamen gleich mit guten Songs um die Ecke.

Erst „Float On“ bescherte Modest Mouse 2004 den Durchbruch. Es war das Manifest eines Hippie-Kindes, das bis dahin am Limit zu leben gezwungen war. Mehr oder weniger hilflos hatte es die spirituellen Bekehrungen einer religiösen Sekte über sich ergehen lassen, war hin und her gedriftet zwischen College und dem Schuppen, den es als sein Zuhause betrachtete.

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Etwas von dem Eifer eines Kapitän Ahab steckte in dem Jungen, dieses Zuviel an Freiheit, das als Last empfunden wird. Als er es 2007 mit dem fulminanten Chaos-Trip von „We Were Dead Before The Ship Even Sank“ an die Spitze der US-Charts schafft, ist ihm aber auch das zu viel. Er fürchtet, als lebender „Mythos“ um seine Kreativität gebracht zu werden. Alben erscheinen anschließend sporadisch.

Sterben will er allerdings auch nicht, so schränkt er seinen exzessiven Drogenkonsum ein – bis auf Pilze. Denn als Verfechter der „Stoned Ape Theory“ glaubt Brock, dass der Mensch von dem Affen abstammt, der sein Hirn durch Konsum psychedelischer Pilze erweitert hat. Da wäre es doch töricht, von einer so altbewährten Praxis abzurücken.

Eine wimmernde Gitarre rührt zu Tränen

Man kann Modest Mouse als eine kultivierte Form von Spinnerei betrachten. „Walking And Running“, einer der fabelhaften neuen Songs der auf sechs Musiker angewachsenen Band, erzählt davon. Überall Stille, ringsum Natur. Doch immer gibt es welche, die verbreiten so viel Lärm und Ungestüm, plappern durcheinander, dass selbst die Honigbienen kirre werden. Oder sind wir gemeint? Wir alle? Die wir Pläne schmieden für eine Zeit, die uns weggespült haben wird? „Making plans in the sands as the tides roll in“, wie es in „Wooden Soldiers“ heißt, während eine wimmernde Gitarre zu Tränen rührt.

Wenn man Kinder habe, sei es schwer, Pessimist zu sein, hat Brock zuletzt eingestanden. Etliche Songs klingen deshalb auf eine heitere Art verzweifelt, weil das Bemühen Brocks, seiner dreijährigen Tochter ein gutes Vorbild zu sein, ihm einiges an Überwindung abverlangt. „Vater- Krankheit“ nennt er das. Dad-Rock ahoi!

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Dass sich Modest Mouse nun erstmals ausgiebig mit Sozialen Medien, Hashtags und Selfies auseinandersetzt, hat ebenfalls mit dieser neu entdeckten Fürsorglichkeit zu tun. „There’s a lot of webs“, singt Brock jedem ins Gewissen, der sich in das Leben anderer drängt, um zu stänkern oder um darin zu wildern und nach Geheimnissen zu suchen. „I have a lot to do / To become you“ ist in diesem Zusammenhang einer dieser hellsichtigen Sätze, für die man Brock einfach lieben muss. Sie lassen vergessen, dass Modest Mouse’ schon mal unbequemer geklungen haben als mit dem aufgewärmten PsychedelicRock von „The Golden Casket“.

Sanft perlende Popmelodien und fokussierter Gitarrenexzess

Nicht, dass die Songs übers Heimkommen und Daheimbleiben schlecht wären, nur weil es ihnen an Wut mangelt. Es gibt dank Produzent Dave Sardy sanft perlende Popmelodien („Leave A Light On“) und fokussierten Gitarrenexzess („Back To The Middle“).

Und der gewundene Stamm des Bonsai-Gewächses in „Japanese Tree“ ist denn wohl auch das Bild, mit dem sich Brock derzeit am ehesten identifizieren würde. Obwohl fest verwurzelt, fragt er sich durchaus, wann sie als Band wieder aufbrechen und gemeinsam auf dem Rücksitz einpennen werden: „When can we leave?“

Da die Homestory nicht ganz freiwillig zustandegekommen ist, sondern durch Corona, lebt sie von derselben brodelnden Energie, die Brock noch immer vor Banalitäten gerettet hat. Der „goldene Sarg“ des Albumtitels ist deshalb die passende Heimstätte für uns lebende Halbtote.