Wiedereröffnung Berlinische Galerie: Julius von Bismarck stürzt Urahn Otto vom Sockel
Er will nur spielen, denkt man kurz. Gepresste Pflanzen, eine Steppenläufer-Pflanze auf einem Fitnesslaufband, auf Knopfdruck zusammensackende und sich wieder aufrichtende Gliederfiguren geben der Ausstellung Julius von Bismarcks in der Berlinischen Galerie eine Anmutung von Spielzimmer.
Noch wird aufgebaut, was nur 24 Stunden vor einer Eröffnung ungewöhnlich ist. Aber was ist schon gewöhnlich bei diesem Mann, der Ingenieurskunst, Ästhetik und Wissenschaft zusammenbringt? Viele seiner Arbeiten sind irre kompliziert und gerne gigantoman – was die ausgedehnte Aufbauphase hinlänglich erklärt.
Giraffe und Reiterstandbild
Merkwürdig, aber mitten im allgemeinen Geschleppe und Geschraube wirkt der Künstler wie die Ruhe selbst. Er nimmt sich ordentlich Zeit für ein Werkstattgespräch. Und nach Werkstatt sieht es noch aus. So sind die beiden riesenhaften Drückfiguren noch nicht in Funktion: Eine Giraffe und ein Reiterstandbild (das Original steht in Bremen), beide im Maßstab 1:1 und wie für den Daumen eines Titanen gemacht. Als Kind habe er einen ganzen Satz hölzerner Wackelfiguren gehabt, erzählt Julius von Bismarck, bei denen mit einem Fingerdruck die von einer Schnur gehaltene Gliederspannung nachlässt und das Figürchen mit einem Ruck einknickt.
Natur ist ein reines Konstrukt.
Julius von Bismarck, Künstler
Bei dem Denkmal und der Giraffe wird das in Zeitlupe passieren, logisch in dieser Größenordnung. „Wir haben mit echtem Giraffenfell gearbeitet, und als das Tier zusammengebaut war, packte mich das Mitleid“, sagt Bismarck, der die Brutalität hinter dem Kinderspiel sichtbar machen will. Obwohl die Giraffe noch ein Gliederhaufen ist, versteht man das. Hier geht es um Zoos, um importierte, zur Schau gestellte Wesen, um verfügbar gemachte Natur.
Der Mensch in der Sackgasse
Natur? Für den Künstler ein Begriff zum Barthaareraufen. „Natur ist ein reines Konstrukt“, erklärt er. „Das Wort beschreibt alles, was nicht vom Menschen gemacht ist. Aber was in der Welt ist denn nicht – vom Menschen beeinflusst?“ Mit der Trennung zwischen sich und allem anderen haben die Menschen sich „in eine Sackgasse manövriert“, sagt Bismarck (die Stichwörter Klimawandel und Artensterben genügen) und empfiehlt die Beschäftigung mit animistischen Religionen. „Da gibt es keine Trennung zwischen Göttern, Menschen und dem Rest. Alles greift ineinander, Blitz, Donner, Tier, Sturm, Wald, Fluss und Mensch, alles hat Einfluss auf das Ganze.“
Statt von „Natur“ spricht er lieber von „Landschaft“. Julius von Bismarck, geboren 1983 in Breisach am Rhein, ist im saudi-arabischen Riad aufgewachsen. Die Familie sei regelmäßig in die Wüste gefahren, der gewaltige Anblick von Sanddünen, das Schnorcheln durch die Unterwasserwelt im Roten Meer, solche Eindrücke prägten ihn. Als der Achtjährige nach Deutschland kam – der Zweite Golfkrieg trieb die Familie zurück nach Europa – „war für mich nichts ‚normal‘ hier. Das hat mir sicher geholfen, die westliche Kultur nicht als gottgegeben wahrzunehmen – zu wissen und zu spüren: Es sind unterschiedliche Weltbilder möglich.“
Er hat Olafur Eliasson gelernt
Solche Worte lassen ahnen, wie Bismarck zur Kunst kam. Von 2009 bis 2013 studierte er an Olafur Eliassons Institut für Raumexperimente an der Berliner UdK. Dass er mit früheren Kommilitonen wie Felix Kiessling und Julian Charrière weiter zusammenarbeitet, zeigt sich in der Ausstellung. Vor fünf Jahren leakten Bismarck und Charrière eine Reihe von Videos, die vermeintlich Sprengungen von Naturmonumenten in US-Nationalparks zeigten und ein gewaltiges Medienecho auslösten. In Wahrheit hatten die Künstler in Mexiko auf gegebene Formationen künstliche Felsenteile aufsetzen und explodieren lassen.
Ein Riesenaufwand. Hochglanzfotos bezeugen die Spektakel. Auf einem Monitor sind hastige, teils hasserfüllte Kommentare aus Sozialen Netzwerken zu lesen. Wenige User durchschauten den Fake.
Mit seinen oft provokanten Landart-Interventionen, Skulpturen oder Installationen will Bismarck festgefahrene Denkstrukturen auflösen und neue Sichtweisen inspirieren. „When Platitudes Become Form“ nannte er seine Ausstellung in Anspielung auf die legendäre „When Attitudes Become Form“-Schau von Harald Szeemann 1969 in Bern. Bismarcks Programm: Die Allgemeinplätze und Naturklischees gleichsam aufblasen und zum Platzen bringen.
Seinem Herbarium aus getrockneten exotischen Pflanzen geht jede Poesiealbumhaftigkeit ab, denn es sind Großpflanzen aus nicht-europäischen Ländern, die er durch aufwendiges Pressen in die Zweidimensionalität befördert hat. Auf Blech aufgezogen, baumeln Palmen wie „Botanical King“, „Bismarckia nobilis“ und andere Gewächse als morbides Mobile von der Decke. Sarkastischer Kinderlied-Titel der ‚Nature morte‘: „I like the flowers“.
Tatsächlich verdankt die Bismarckpalme dem „Eisernen Kanzler“ ihren Namen. Während der Urururgroßneffe Otto von Bismarcks auf den Texttafeln der Ausstellung nur „Julius“ genannt werden will, trifft man den berühmtesten Bismarck hier auf Schritt und Tritt. Denn gerade der Künstler kommt um seinen staatsmännischen Ahnen nicht herum.
So lässt er ihn als „Push Puppet“ mit Pickelhaube, nach dem erwähnten Bremer Reiterstandbild, im Minutentakt zusammenbrechen und sich wiederaufrichten. Gespenstisch unkaputtbar. „Bismarck steht für die deutsche Kolonialzeit“, sagt der Künstler. Und ohne den Kolonialismus könne man unseren Naturbegriff nicht verstehen.
Der „Eiserne Kanzler“ als Urahn
Den ersten Reichskanzler, mit dem er den Namen teilt, will er nicht primär aus politischen Gründen vom Sockel holen. „Ich bin kein Historiker, der zu bewerten hätte, was Otto von Bismarck richtig oder falsch gemacht hat“. Falsch oder wenigstens verzerrt sei vielmehr die westliche Wahrnehmung von Umwelt. Wir stellen uns Pflanzen auf den Balkon, interessieren uns aber kaum für ihre Herkunft. Wir lieben Papageien und Giraffen.
Unser Gemüt funktioniert wie ein Streichelzoo, in der politischen Realität errichten wir Stacheldrahtzäune. Exotische Flora und Fauna wird gern genommen, Menschen von Anderswo in der Regel abgewiesen. Xenophobie und naiver, auf Bewahrung des vermeintlich Ursprünglichen beharrender Landschaftsbegriff hängen irgendwie zusammen, davon bekommt man in der Berlinischen Galerie jetzt eine Ahnung. „Guckt nicht so romantisch“ – der Brecht-Appell ruft aus jedem Winkel der Schau.
Die Wahrheit über Balkonpflanzen
Bevor man sie betritt, muss man an einem großen Stück bemalten Stoffs vorbei, der die Ausstellung wie ein geschlossener Vorhang zunächst verdeckt. In groben schwarzen Pinselstrichen sind Wellenlinien aufgemalt, das Meer, wie es auf alten Stichen dargestellt wurde. Hinter der Baumwollplane erzeugen Ventilatoren künstlichen Wind. Als installatives Seestück wäre die Arbeit eher enttäuschend. Aber Julius von Bismarck will ja enttäuschen, will dekonstruieren statt simulieren. Der anti-illusionistische Theatervorhang ist das Relikt einer Aktion, deren Ergebnis auf einem Foto-Triptychon in der Ausstellung zu bestaunen ist.
Bismarck hat das neun mal zwölf Meter große Tuch vor einiger Zeit im Pazifik schwimmen lassen. Halb treibt es auf dem Wasser, halb darunter. Die holzschnittartige Struktur verschmilzt mit dem echten Meer, der Übergang ist fließend. In der Ferne: nur noch reales Wasser, am Horizont zeigt sich ein Landstreifen, ein Zipfel von Papua-Neuguinea. Das Motiv verknüpft den Kolonialismus mit seinen heutigen Folgen, den Flüchtlingsbewegungen auf dem Mittelmeer. Nur ist die Fotoarbeit auf einem anderen Meer entstanden, für das noch heute die Bezeichnung „Bismarcksee“ verwendet wird. Für den Künstler ein Unding.
Kolonialismus prägt unser Verständnis von Natur
Julius von Bismarck hat sich sogar an die Vereinten Nationen gewandt, um eine Umbenennung zu erwirken. Auch für die Änderung von Berliner Straßennamen, die an seinen Urururgroßonkel und damit an die deutsche Kolonialgeschichte erinnern, setzt er sich ein, „weil der Name in diesem Kontext nicht erinnernswert ist“, sagt er.
Nun sollte man nicht glauben, Otto stellte für Julius ein persönliches Trauma dar. Wenn die Vorschläge aber „von jemandem kommen, der Bismarck heißt, inspiriert das die Leute vielleicht zum Umdenken“. Die Umbenennungs-Initiativen sind aber nur Nebeneffekte seiner künstlerischen Praxis. In die bezieht der Künstler auch seine lebende Familie ein.
Vom Soundtrack einer Videoarbeit singt ein Chor aus Verwandten „Geh aus mein Herz, und suche Freud“. Zusammen singen, die Familie, Bismarck möchte all das nicht missen. Mit dem antiquierten Weltbild des Kirchenlieds, laut dem Gott uns „der schönen Gärten Zier“ schenkt, hat er kein Problem, historisch betrachtet. Wenn man den Text im Licht heutiger Konsumhaltung zur Welt anschaut, sieht es anders aus.
Das Video dazu zeigt einen Wald von oben, über den die Kamera körperlos zu schweben scheint. Aber es gibt keinen Blick ohne Körper und auch nicht – ohne Energieverbrauch. Der Wind, in dem sich die Bäume zu wiegen scheinen, ist in Wahrheit der Wirbel, den der Helikopter entfacht, aus dem das gefilmt ist. Der Lärm der Rotorblätter ist stumm geschaltet. Das sitzt, wenn man’s begriffen hat. Die Kunst beißt zu. Nein, Julius von Bismarck will nicht nur spielen.