Er hatte den Swing, bis zuletzt

Seine Besucher beschenkte er gerne mit einer „klingenden Visitenkarte“. Klaus Wüsthoff pickte sich jene Buchstaben aus dem Namen seines Gastes heraus, die es auch in der Tonleiter gibt, setzte sich an seinen Flügel und verarbeitet das Material zu einen Spontanschlager. Aus „Frederik Hanssen“ wurde eine bluesige, leicht melancholische Melodie, als ich den Berliner Komponisten im Sommer 2012 in seinem schönen Haus an der Rehwiese in Schlachtensee traf, in Vorbereitung eines Artikels zu seinem 90. Geburtstag. Damals verblüfften mich seine Lebenslustigkeit und sein kreativer Tatendrang. Beides hat er sich auch in den folgenden Jahren erhalten können, bei meinem letzten Besuch vor fünf Monaten sprudelte er schon an der Eingangstür los – denn er hatte doch von so vielen Ideen und Projekten zu berichten.
Im Alter war Klaus Wüsthoff zum Umweltschützer geworden, mit seinen künstlerischen Mitteln wollte er dazu beitragen, den Planeten zu retten. Sein „Klimaglocken“-Motiv sollte von allen Kirchtürmen mahnen, aus der Orchestersuite zu Theodor Storms Märchenparabel „Die Regentrude“ hatte er ein Greta-Thunberg-Konzert entwickelt, und er wollte alle Kinder dazu bringen, mit einem Sandmann-Säckchen in den Familien Kleinfeld zu sammeln: Die Münzen würden dann in den Schulklassen auf einen Haufen kommen, bei der anschließenden Diskussion darüber, was man mit dem Geld machen könne, sollten sich die jungen Menschen darüber klar werden, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist.

Für die Berliner Philharmoniker spielte er ein Paukenkonzert

Für Klaus Wüsthoff war es – neben der Zukunft des Planeten – immer die Musik. 1940 lernte der auf der Bahnfahrt zum „Arbeitsdienst“ Heinrich Riethmüller kennen, den späteren Dalli-Dalli-Komponisten. Mit ihren Akkordeons werden beide schnell unverzichtbar für die Truppenbetreuung. Die Quetschkommode sollte Wüsthoff dann auch in der Gefangenschaft in Russland hilfreich sein. 1948 konnte er in seine Heimatstadt Berlin zurückkehren, begann ein Dirigierstudium, wurde Abteilungsleiter für Tanzmusik beim RIAS – und entschied sich doch für die Freiberuflerkarriere.
Sein Geld verdiente er mit Werbung, vertonte hunderte TV-Spots mit Kauflust steigernden Klängen. Und er erfand 1963 das akustische Erkennungszeichen der ZDF-Nachrichtensendung „heute“. Aber er wollte auch als seriöser Komponist anerkannt werden, konnte 1982 einen Publikumserfolg feiern mit einem Paukenkonzert, das zum 100. Gründungsjubiläum der Berliner Philharmoniker entstand. Kurz darauf führten dann die legendären 12 Cellisten des Orchesters ein Wüsthoff-Werk auf. Er rief den Wettbewerb „Jugend komponiert“ ins Leben, schrieb selber viel für den Nachwuchs, ein „Kuscheltierkonzert“, die „Weihnachtskantate für junge Leute“, das Musical „Flori und der Kokofant“.
Im Herzen aber blieb Klaus Wüsthoff immer ein Jazzer der alten Schule. Wer ihn am Klavier erlebte, spürte sofort, dass er den Swing hat. Und so war es nur konsequent, dass er 93-jährig noch als Evergreen-Sänger debütierte, mit einer Piano-Gitarre-Bass-Combo eine CD voller lässiger Interpretationen von Hits wie „La Paloma“ oder „Für eine Nacht voller Seligkeit“ herausbrachte, der im Jahr darauf noch eine zweite folgte. Auf dem Weg zu seinem 100. Geburtstag ist Klaus Wüsthoff jetzt mitten aus dem Leben gerissen worden.