Die Träumerin: Hanna Schygulla wird 80 Jahre alt

Erkenne dich selbst, lautet die weltberühmte Aufforderung am Apollotempel von Delphi. Unter den ersten Ratschlägen für ein geglücktes Leben hat sie indes längst einem fragwürdigen Imperativ Platz gemacht: Du musst dich neu erfinden. Hanna Schygulla hat sich trotz der vielen Leben, die sie in den vergangenen 80 Jahren angesammelt hat, immer eher an eine andere Maxime gehalten, mit der sie 2013 auch ihre bei Schirmer/Mosel erschienene Autobiografie überschrieb: „Wach auf und träume“. Es geht, wenn man diesen einer Ibsen-Adaption von Peter von Becker entlehnten Titel richtig versteht, nicht darum, ein anderer zu werden, sondern der andere zu sein, der man immer auch schon war.

Tatsächlich hat die am 25. Dezember 1943 im oberschlesischen Königshütte geborene und 1945 mit ihrer Mutter nach München geflohene Schauspielerin ihre Präsenz auch oft aus einer Form der Abwesenheit bezogen. Von ihrer somnambulen Anmutung wollte sie selbst zwar nicht viel wissen. Mit ihren „Traumprotokollen“, eine Serie von Videos, die 2014 in der Akademie der Künste gezeigt wurden, wo auch ihr Archiv lagert, nährte sie ihre Faszination für das Träumen.

„Wenn wir schlafen und träumen, erwacht in uns ein Dichter, der uns mit gewagten Bildern und Worten das sagt, was unser Wachsein uns verbirgt“, erklärte sie damals zu den Filmen, die sie bereits in den 1970er Jahren, während ihrer prägenden Zeit als Hauptdarstellerin bei Rainer Werner Fassbinder, zu drehen begonnen hatte. „Die Ehe der Maria Braun“ oder „Lili Marleen“ sind Rollen, die sie international bekannt machten. Sie hat aber auch in zahllosen anderen europäischen Produktionen gespielt: bei Jean-Luc Godard, Marco Ferreri oder Andrzej Wajda. Bis in die jüngsten Jahre war sie in Filmen von François Ozon („Peter von Kant“)., wo sie ein betörendes Schlaflied singt, oder Giorgios Lanthimos („Poor Things“) dabei.

Nach 35 Jahren Paris, die sie zum Teil in einer WG mit der kubanischen Schauspielerin Alicia Bustamente verbrachte, über die sie auch eine Dokumentation drehte, übersiedelte sie 2013 dauerhaft nach Berlin – kein Denkmal ihrer selbst, sondern eine Frau, die aus allem, was das Leben ihr zudenkt, etwas zu machen versucht.