Ukraine, Israel, AfD: Wie politisch wird die Berlinale?
Jahrelang hat sich die Berlinale als wichtiges politisches Filmfestival definiert und dafür gefeiert. Im Jahr 2024 ist die Zivilgesellschaft politisiert wie lange nicht. Der russische Angriff auf die Ukraine jährt sich zum zweiten Mal, im Nahen Osten ist die Lage explosiv wie lange nicht und in Deutschland hofft die in Teilen rechtsextreme AfD auf hohe Stimmenanteile bei Europawahl und drei Landtagswahlen. Wie reagiert das Berliner Filmfest auf die Herausforderungen der Zeit?
Einer der erfolgreichsten deutschen Regisseure, die grüne Sprecherin für Medienpolitik in Berlin und ein Tagesspiegel-Filmexperten beantworten an dieser Stelle die Frage, wie politisch die Berlinale in diesem Jahr sein wird. Alle anderen Teile unserer Serie „3 auf 1“ finden Sie hier.
Die Sektion Forum könnte viel Unerwartetes bringen
Natürlich wird dies eine zwangsläufig sehr politische Berlinale werden. Und die Kunstfilmbranche braucht ja dringend die Teilhabe an Debatten der Tagespolitik als Selbstvergewisserung. Denn ihre Sehnsucht, als gesellschaftlicher Player noch wahrgenommen zu werden, ist sehr groß. Allerdings werden die Filme dadurch nicht zwangsläufig besser. Meine Prognose für diesen Jahrgang: wieder viel karges Kino im freudlosen Büßergewand… kaum Exzesse, kaum Ambivalenzen, kaum gewagte Diskurs-Verunreinigungen und provozierende Fragwürdigkeiten. Und darunter werden dann vielleicht die wenigen wirklich interessanten Filme leiden. Aber von der Neufassung der Sektion des Forums erstmals unter der Leitung von Barbara Wurm erwarte ich mir sehr viel Unerwartetes.
Safe Space für diskriminierte Künstler*innen
Die Berlinale war immer eines der politischsten der internationalen Filmfestivals. Sie ist für viele verfolgte und diskriminierte Künstler*innen ein Safe Space, in dem sie ihre Arbeit einer internationalen Öffentlichkeit präsentieren können. In dieser Zeit scheint dies wichtiger und politischer zu sein als je zuvor.
Die AfD repräsentiert das Gegenteil dessen. Es ist nicht auszudenken, was aus Filmfestivals wie der Berlinale, aus Medienfreiheit und Demokratie werden würde, wenn die AfD Regierungsmacht erhalten sollte. Ich begrüße die Entscheidung, die Abgeordneten auszuladen, sehr – auch wenn ich spätestens seit den Enthüllungen über das Geheimtreffen in Potsdam der Meinung bin, dass sie gar nicht erst hätten eingeladen werden dürfen.
Berlins Bürgermeister mischt sich in Angelegenheiten der Berlinale-Leitung ein, wenn er, wie gerade angekündigt, diese Entscheidung für das nächste Jahr zurückzunehmen will. Vielfalt und Toleranz stehen im Zentrum jeder Berlinale. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass das auch so bleibt!
Immer ein Spiegel ihrer Zeit
Die Idee der Berlinale als politisches Festival wurde in der Ära Kosslick zum Motto erhoben. Und mit dem Ruf als Deutschlands größtem Publikumsfestival geht eben auch eine gesellschaftliche Verantwortung einher, eine bessere Bühne gibt es kaum. Auch wenn der künstlerische Leiter Carlo Chatrian betont, Filme nicht unter thematischen Aspekten zu programmieren, ist jede Berlinale zwangsläufig ein Spiegel ihrer Zeit.
Mit den Kriegen in der Ukraine und in Gaza, den Ausladungen von iranischen Filmschaffenden und den Diskussionen um AfD-Mitglieder auf der Eröffnungsgala wird diese Berlinale so politisch wie lange nicht mehr.
Allerdings reichen wohlfeile Statements allein nicht. Die aktuelle Leitung hat sich, wenn es darauf ankam – man erinnere sich nur an die Enthüllungen der NS-Verflechtungen von Gründungsdirektor Alfred Bauer – beizeiten auch vor wirklicher Verantwortung als wichtiges Kulturfestival gedrückt. Das gilt ebenso für das tagelange Herumlavieren um die Ausladung der Gäste von der AfD. Eine politische Haltung erfordert auch Konsequenzen.