Höllentrip mit Chris de Burgh
Dante ist Mitte Dreißig, ein blonder, bärtiger Typ in weißem Unterhemd, schwarzen Hochwasserhosen und spitzen Schuhen. Einen roten Rucksack geschultert, stolpert er verpeilt und über Hitze schimpfend durch einen dunklen Wald, dessen Boden rot zu glühen scheint. Dante begegnet einer fülligen Frau, die noch fülligere Qualmwolken ausstößt, und einem besitzergreifenden Yogi, vor denen er sich durch Ablenkungsmanöver davonstehlen kann.
Aus einer brenzligen Situation mit einem abzockerischen Wolf rettet ihn ein schattenhaftes Wesen, das Dante tief ins dornige Unterholz lockt. Verführt, bequatscht und ordentlich zerkratzt – der Dante in Michael Meiers Comic „Das Inferno“ (Reprodukt, 136 S., 20 €) wird auf den ersten Seiten schon ganz schön mitgenommen.
Aber schließlich ist er ja auch auf Wanderung durch das erste der drei Reiche des Jenseits: die Hölle – ganz wie sein Vorbild aus Dante Alighieris erstem Teil der „Göttlichen Komödie“ aus dem 14. Jahrhundert. Der Retter im Unterholz entpuppt sich als leuchtend orangeroter Schakal, der sich vorstellt: „Von mir ist die Aeneis. Die kennst du wahrscheinlich nicht. Ist schon etwas älter.“
Aber Dante hat im Internet studiert und kennt seinen Vergil, der ihm hier als eine Art Geist erscheint, geschickt von Dantes großer Liebe Beatrice. Der antike römische Dichter in Schakalgestalt leitet Dante nun durch die Kreise der Hölle, von denen einer abstruser und/oder schrecklicher als der andere ist. Bevölkert werden sie in der Comicversion auch von Gestalten der Moderne: Hitler, Berlusconi oder Chris de Burgh, um nur einige zu nennen.
Michael Meiers Schilderung des Höllentrips ist sehr schön anzusehen. Sein grafischer Stil, in dem die Farbflächen fast scherenschnittartig ohne Umrisslinien aneinanderstoßen, entwickelt zusammen mit der plakativ-stimmungsvollen Kolorierung verführerische Ästhetik auf den querformatigen Seiten.
Es begann als täglicher Zeitungsstrip
Wer sich ein wenig vertraut macht mit Dantes „Göttlicher Komödie“, entdeckt Elemente und Schlüsselszenen im Comic wieder. Die Grafik, die flapsige Sprache und pointierte Komik zeugen aber von großer und erfrischender Freiheit in der Adaption.
Mit Abgründigen befasste sich Michael Meier schon für seine Abschlussarbeit an der Kunsthochschule Kassel: Er adaptierte die phantastische Erzählung „Die Menschenfabrik“ von Oskar Panizza aus dem 19. Jahrhundert und veröffentlichte das düstere Werk 2008 in schöner Aufmachung bei Rotopolpress.
Später nahm er sich dann mit Dantes „Inferno“ einen explizit infernalischen Stoff vor. Seine Comicinterpretation erschien zunächst als täglicher Zeitungsstrip und 2012 als Buch ebenfalls bei dem kleinen Kasseler Verlag. Nun gibt es eine leicht überarbeitete Neuauflage davon bei Reprodukt, passend zum 700. Todestag des italienischen Volksdichters im September dieses Jahres.