„Wüstinnen“ an der Neuköllner Oper: Treffen mit den musikalischen Ahninnen

Wer die Neuköllner Oper besucht, sollte besser nichts, allenfalls eines erwarten: die Überraschung. Kaum vorhersehbar sind die Abende, die Mittel, die Stücke, die Musik. Erklärte Mission des etwas anderen Opernhauses im Herzen von Neukölln ist schließlich nichts geringeres als Musiktheater neu zu erfinden. Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ganz klar, dass beim Hobeln ausgetretener Bühnenbretter Späne fallen müssen. So auch diesmal bei der Uraufführung des Stückes „Wüstinnen“.

Kennen Sie Francesca Caccini, Barbara Strozzi, Maria Theresia Paradis, Ethel Smyth oder Florence Price? Nein? Schade. Das dachte sich auch das Ensemble um Sommer Ulrickson. Mit „Wüstinnen“ möchte es der Musik unterrezipierter Komponistinnen Gehör verschaffen, dabei auf deren Lebensrealitäten aufmerksam machen, die durch Ungerechtigkeit und Diskriminierung bestimmt sind.

Zentral ist die Metapher der Wüste, in der die Band Tank Baby auf dem Weg zum nächsten Gig strandet. Im kalten, unwirklichen Raum der surreal in blau getauchten Wüstenlandschaft geht es um Fragen wie: Warum sind wir hier gelandet? Was machen wir hier und vor allem, wie weiter?

Aus der Dunkelheit, in der zunächst nur die fluoreszierenden Sneaker der Bandmitglieder hervorblitzen, treten sukzessive sich den blauen Perücken entledigende Einzelcharaktere hervor. Wir lernen Menschen in ihren Sehnsüchten und Ängsten kennen, Individuen, die auf der Suche nach Antworten sind.

Und wie könnten unsere Vorfahren anders gefühlt haben? Die fünf Komponistinnen erscheinen der Band immer wieder und teilen sich in ihren Lebenserfahrungen mit. Beeindruckende Persönlichkeiten sind das: BarbaraStrozzi, die so ganz „unbarock“ als produktive Musikerin alleinerziehend mit vier Kindern lebte; Theresia Paradis, die als blinde Frau im 18. Jahrhundert europaweit tourte und ein Musikinstitut gründete; oder Ethel Smith, die für ihr Engagement in der Suffragetten-Bewegung ins Gefängnis musste.

Der symbolhafte Prozess des Fragens, Schürfens, Findens und der Synthese letzterer im eigenen Handeln wird durch die Musik getragen. Aus den substanzlosen Klängen eines Autoradios zu Beginn materialisieren sich verhaltene, unsichere Gesten des kleinen Ensembles, aus denen sich ein eklektisch vielgestaltiges Spektrum von Barockmusik bis ins 20. und 21. Jahrhundert hinein entwickelt. Opernhafte Arien und Duette treffen auf Synth-Pop oder Klänge, die an einen Giancinto Scelsi erinnern, wobei sich in den Arrangements und Kompositionen von Richard Schwennicke ein Moment organisch aus dem anderen entwickelt.

Der „Wüst:nnen“-Abend macht Mut sich ganzheitlich mit den Leerstellen der Vergangenheit auseinanderzusetzen – und so zum Beispiel faszinierende Komponistinnen zu entdecken. Die Frage ist dringend, wie so inspirierte Energien für die Transformation unserer Realität zu einer besseren Gesellschaft der Zukunft zu nutzen sind.