Der Latin-Star Karol G. erobert die Welt : Morgen macht Bichota es sich schön
In Miamis legendärer „Calle Ocho“ ziert ein überlebensgroßes Porträt von Karol G. eine Häuserwand. An prominenter Stelle der Straße, die wegen ihrer kubanisch geprägten Cafés, Einkaufsläden und Bars auch „Little Havanna“ genannt wird, überragt das Wandbild sogar die Porträts von kubanischstämmigen Stars wie dem Rapper Pitbull und der allgegenwärtigen Salsa-Ikone Celia Cruz. Immer wieder lassen sich junge Mädchen von ihren Müttern vor dem Wandbild fotografieren. Das ist die größte Auszeichnung, die einem Latin-Star widerfahren kann.
Die 33-jährige Kolumbianerin ist zweifellos der größte Latin-Star der Saison. Seit sie im vergangenen Jahr ihr viertes Album veröffentlichte, „Mañana Será Bonito“ („Morgen wird es schön“), hat sie einen Lauf. Es ist das erste rein spanischsprachige Album einer Künstlerin, das an die Spitze der US-Charts geschossen ist. Es hat sie in den Mainstream katapultiert und zum Weltstar gemacht, nicht nur in der spanischsprachigen Welt zwischen Miami, Madrid und Medellín.
70 Millionen Follower bei Instgram
Sie war auf dem Cover der mexikanischen und spanischen Ausgaben der „Vogue“, der „Elle“ und „GQ“ sowie des US-Musikmagazins „Rolling Stone“. Sie war auf dem Soundtrack zum Barbie-Film vertreten, der letzten Sommer alle Kassenrekorde brach. Fast 50 Millionen Menschen monatlich hören inzwischen beim Streamingdienst Spotify ihre Songs, auf Instagram folgen ihr fast 70 Millionen.
Damit hat Karol G. zu ihrer Landsmännin Shakira aufgeschlossen, die 14 Jahre älter und schon länger im Geschäft ist. Bei der Verleihung der Latin Grammys im November im spanischen Sevilla dominierten die beiden die Szene, sie bewegen sich inzwischen auf Augenhöhe. Auf ihrem gemeinsamen Song „TQG“ verarbeiten sie ihre Trennungen von ihren jeweiligen Ex-Partnern: Shakira war mit dem spanischen Fußballspieler Piqué zusammen, Karol G mit dem puertoricanischen Rapper Anuel AA. „TQG“ steht für „Te quedó grande“, was so viel heißt wie „Ich bin zu gut für dich“. Gemeinsam lassen sie ihren Rachefantasien freien Lauf und feiern das Leben als Singles: „Du weißt, dass ich Fehler nicht zweimal mache. Sage deinem neuen Baby, dass ich nicht um Männer kämpfe“, heißt es in dem Song. „Ich werde niemals zu dir zurückkehren, du bringst nur Pech.“ Aufstehen, Krone richten, durchstarten.
Karol G wurde als Carolina Giraldo Navarros in der kolumbianischen Metropole Medellín geboren. Schon als Teenager trat sie in einer Talentshow auf, doch für ihren Durchbruch musste sie hart arbeiten. Ihre Mutter war Kellnerin, der Vater war selbst Musiker und soll seinen Job gekündigt und das Auto der Familie verkauft haben, um ihr zu helfen, sich in Musikbusiness und in der Männerwelt des Reggaeton durchzusetzen. Um ihre Karriere anzuschieben, zog sie sogar zunächst zu einer Tante nach New York.
Reggaeton, eine testosteronlastige Mischung aus Dancehall-Reggae, HipHop und spanischsprachigem Rap, ist weltweit vor allem durch den Hit „Gasolina“ bekannt geworden. Das karibische Genre hat sich seither aber weiterentwickelt und mit anderen Musikrichtungen vermischt. Karol G erfindet es neu und gibt ihm einen weiblichen Touch. Sie schreibt fast alle ihre Songs selbst und hat mit dem Produzenten Daniel Oviedo alias „Ovy on the Drums“ einen idealen Partner gefunden. Er sorgt für die minimalistischen, luftigen und unwiderstehlich bouncenden Beats, sie füllt sie mit ihrer klaren und vielseitigen Stimme mit Leben.
Nahbare Kunstfigur
Karol G inszeniert sich als nahbare Kunstfigur und ist so zum Role Model geworden. Ihre langen Haare trägt sie abwechselnd grün, rot, rosa oder blau, und ihren Erfolg genießt sie vor wechselnden Kulissen. In ihren Videoclips räkelt sie sich mal lasziv in der Vulkanlandschaft von Lanzarote, mal plantscht sie von sattem Grün und tropischen Blumen umgeben in einer Lagune in Hawaii, lässt sich von einem grauhaarigen Hippie aus der Hand lesen oder schaut sorglosen Jungs auf Surfbrettern hinterher.
Mal streift sie, von Kindern verfolgt, durch die Altstadt-Gassen von Kairo und posiert vor den Pyramiden von Gizeh. Ein anderes Mal schreitet sie in einer lateinamerikanischen Strandbar ans Mikrofon und startet anschließend eine spontane Polonaise durch das Barrio. Auffällig ist, dass sie sich dabei fast ausschließlich mit Frauen umgibt. Wie im Barbie-Film spielen Freundinnen die Hauptrolle: die Männer sind nur Statisten.
Verschwitzte Gruppensex-Fantasien
Das ist kokett, aber sie kann auch anders. Im Clip zu „Gatobela“ („Katzenfrau“) gibt sie sich einer verschwitzten Gruppensex-Fantasie hin. Im Video zu ihrem Hit „Mamiii“ mit Becky G lässt sie das venozelanische Model Dru Flecha und Ex-Porno-Star Mia Khalifa das luxuriöse Loft ihres Partners, der sie betrogen hat, zertrümmern und ihn demütigen: eine lustvolle Rachefantasie. Und im Video zu „S91“ rennt sie im Lumpen-Outfit durch eine unwirkliche Mad-Max-Landschaft, von Comic-Wölfen verfolgt. „Wenn ich mit dem Jet andüse / mache ich alle glücklich“, protzt sie. Dann rast sie im Rennwagen durch eine Mondlandschaft. „Ich bin wie Goku mit den sieben Kugeln“, spielt sie auf eine Figur aus der Anime-Serie Dragon Ball an. „Manche dachten, ich schaffe es nie“, höhnt sie: „Und jetzt wollen sie Jobs von mir. “
Karol G ist Street Tough. Ihr Schlüsselwort dafür ist „Bichota“, ein puertoricanischer Slang-Ausdruck für Girl Boss, den sie für sich gepachtet hat. Bei aller Inszenierung hat sie sich eine gewisse Bodenständigkeit bewahrt, ihre Fans loben sie für ihre Natürlichkeit. Als sie die „GQ“-Reporterin in ihrem Haus in Los Angeles empfängt, brät sie ihr erst einmal ein paar Käse-Arepas in der Pfanne, lateinamerikanische Maisfladen. Als sie hinterher sieht, dass ihr Bild auf dem „GQ“-Cover retouchiert wurde, beschwert sie sich auf Instagram darüber. Die Retouchen seine respektlos – nicht nur ihr, sondern allen Frauen gegenüber, die „sich trotz der gesellschaftlichen Stereotypen mit sich selbst wohlfühlen wollen“.
Auf ihrer ersten Europa-Tour macht Karol G am Dienstag in Berlin Station. Das Konzert ist ausverkauft. Ihre Europatour endet im Juli mit vier (!) Abschlusskonzerten in Madrid, im Stadion von Real Madrid. Wie der Fußballverein ist Karol G . gerade in der Premiere League die Nummer eins.