Musikfest Berlin 2022: Ein Berg, der bezwungen sein will
Das Musikfest Berlin liebt das Understatement. Eigentlich will man nur über die Musik reden, über beziehungsreiche Programmkombinationen und notwendige (Wieder-)Entdeckungen. So sympathisch das auch ist: Dem Ticketverkauf nutzt es wenig.
Während das Hamburger Gastspiel des Orchestra e Coro dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Leitung von Antonio Pappano mit Igor Levit am Klavier ausverkauft war, gab es in der Philharmonie bis zuletzt reichlich Platz. Dabei hat Levit in der Stadt eine große Fanbasis, der egal ist, wie abseitig das von ihm gespielte Repertoire sein mag. Ja, man erwartet von ihm geradezu etwas unzeitgemäß Gewaltiges.
Und Levit liefert. Er hat Pappano davon überzeugt, Ferruccio Busonis Klavierkonzert aufzuführen, ein Werk, über das bestenfalls geraunt wird, dass es unerhört schwer, lang und irgendwie ratlos stimmend sei. Musikfestmaterial par excellence also. Auf dem Klavierhocker eingetroffen, ballt Levit die Rechte zur Faust, während seine Notenumblätterin sich sprungbereit macht.
Dabei beginnt Busonis 1904 von den Berliner Philharmonikern uraufgeführtes Klavierkonzert ganz zahm in einem herbstlich-deutschen Klangbild, als sei es eine Variation über Brahms. Um diesen goldenen Deckel anzuheben, müssen Pappano und sein römisches Orchester sich mächtig ins Zeug legen. Der Dirigent spielt hier seine Erfahrung als Musikdramatiker aus, der stets weiß, was er an Steigerungen noch mobilisieren kann.
Als ungleich schwieriger erweist sich die Lage des Solisten, der im langen Lauf des Werks nach und nach in reißende Akkordstrudel gerissen wird, am Ende aber nur zierliche Begleitfiguren zusteuern darf, wenn sich wie aus dem Nichts ein Männerchor erhoben hat, der kundtut: „Ruhig hier stehen die Pfeiler der Welt.“ Dass das nur schwer zu glauben ist, daran hat Levits unerschrockener Zugriff einen umjubelten Beitrag.
Welche Finesse Pappano in bald zwei Jahrzehnten Zusammenarbeit mit den Musikerinnen und Musikern der Accademia Nazionale di Santa Cecilia erreicht hat, konnte man vor Busoni erleben: In Schönbergs „Verklärter Nacht“ für Streichorchester finden Sinnlichkeit, Drama und Grenzen auslotende Struktur zu einem atmenden Ganzen, zu einer Oper ohne Worte, die weit in die Pause nachhallt.
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