Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser
Florian Neuhaus erlebt gerade eine schwierige Phase in seiner noch jungen Karriere. Der 24-Jährige befindet sich seit Wochen in einer Formkrise, die Leichtigkeit, die sein Spiel auszeichnet, ist weg und damit fürs Erste auch der Stammplatz bei seinem Verein Borussia Mönchengladbach. In den letzten beiden Bundesligaspielen hat Neuhaus keine einzige Sekunde auf dem Platz gestanden.
In der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ist es ihm zuletzt ähnlich ergangen. Acht Mal hintereinander, die letzten vier Male auch unter dem neuen Bundestrainer Hansi Flick, ist Neuhaus auf der Bank oder der Tribüne sitzen geblieben. Trotzdem hat sich Flick am Tag vor dem WM-Qualifikationsspiel in Normazedonien sehr positiv über ihn geäußert: „Ich habe ihn hier erlebt mit hoher Dynamik, sehr wachsam, sehr konzentriert und mit einer enormen Qualität.“
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]
Wenn Hansi Flick seine eigenen Prinzipien – die Besten werden nominiert – ernst genommen hätte, dann wäre Florian Neuhaus für die beiden Länderspiele der vergangenen Tage eigentlich gar nicht in Frage gekommen. Dass er ihn trotzdem berufen hat, erzählt einiges über Flick und seine Art. „Ich finde es wichtig, dass man Spieler auch mal schützt und stützt“, sagt er. Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.
Neuhaus ist nicht der Einzige, der dem neuen Bundestrainer in dieser Hinsicht ein untadeliges Zeugnis ausstellen würde. Hansi Flick ist ein Spielerversteher, und diese Eigenschaft spielt für seine erfolgreiche Arbeit ohne Zweifel eine wichtige Rolle. Jetzt bei der Nationalmannschaft, genauso wie zuvor bei den Bayern.
Der Bundestrainer versteht es, Spieler zu stärken, ihnen Vertrauen zu vermitteln. Beste Beispiele aus seiner Münchner Zeit sind Thomas Müller und Jerome Boateng, die unter Flicks Vorgänger Niko Kovac bereits in eine Art Vorruhestand eingetreten waren, nach dem Trainerwechsel aber wieder unersetzliche Stützen bei den Bayern wurden. In der Nationalmannschaft haben Niklas Süle und Leroy Sané in den ersten Wochen unter Flick ähnliche Erfahrungen gemacht. Und natürlich Timo Werner.
Sané, Süle und jetzt Timo Werner
Der Profi des FC Chelsea macht im ewigen Auf und Ab eines Stürmerlebens gerade wieder eine eher freudlose Phase durch. Bei Chelsea ist seine Stellung durch die Verpflichtung des Belgiers Romelu Lukaku ein wenig prekär geworden; und dass Werner auf dem Platz vom Glück verfolgt wird, lässt sich auch nicht behaupten. Nach dem Spiel gegen Rumänien am Wochenende, in dem ihm wenig gelingen wollte, geriet der 25-Jährige daher mal wieder in den Fokus der Kritik. Selbst der (haltlose) Vorwurf, er habe mittels einer Schwalbe einen Elfmeter schinden wollen, wurde gegen ihn erhoben.
Hansi Flick hat Werner im Nachgang dieses Spiels offensiv verteidigt, sowohl extern wie auch intern. Als scheinbar mal wieder alle gegen ihn waren, habe er, Flick, ihn „explizit vor der Mannschaft gelobt“, erzählte der Bundestrainer. „Wir unterstützen ihn. Wir sind füreinander da. Das ist unsere Mentalität, das ist unser Mindset.“
Vor einem Monat, im Auswärtsspiel auf Island, wäre Werner ein adäquater Kandidat für eine Auswechslung gewesen, aber der Bundestrainer ließ ihn ganz bewusst weiterspielen – bis er endlich, in der 89. Minute, sein Tor erzielte. Das dritte im dritten Spiel unter Flick. „Wir wollten ihn unbedingt auf dem Platz lassen, damit er noch dieses Tor machen kann“, hat der Bundestrainer dem „Kicker“ erzählt. „Das war elementar.“
Auch beim 4:0 gegen Nordmazedonien, das der Nationalmannschaft vorzeitig die Teilnahme an der WM in Katar sicherte, traf Werner wieder. Und das sogar doppelt, nachdem es anfangs erneut nicht besonders gut für ihn gelaufen war. In der ersten Hälfte scheiterte er einmal aus kürzester am nordmazedonischen Torhüter Stole Dimitrievski, und in der Nachspielzeit traf er den Pfosten.
Nach der Pause aber erzielte Werner mit viel Wucht und wohl auch ein bisschen Wut das 2:0 und nur drei Minuten später mit einem feinen Schlenzer gleich noch das 3:0. „Ich habe es schon oft gesagt: Wenn ein Trainer einen mag und auf einen setzt, dann hilft das jedem Spieler“, sagte er später im Interview bei RTL über sein Verhältnis zu Hansi Flick. „Gerade ich als Stürmer brauche dieses Vertrauen von außen, und das gibt er mir hundert Prozent.“
Der Bundestrainer selbst gab sich erstaunlich wortkarg, als er zu Werner und zu seinem Anteil an dessen beiden Toren befragt wurde. Billige Genugtuung ersparte er sich. „Der Knoten ist geplatzt bei der Mannschaft und vielleicht auch beim Timo“, sagte er. Tue Gutes und schweige davon.
Florian Neuhaus übrigens saß auch im fünften Spiel unter Hansi Flick erneut nur auf der Bank. Zehn Minuten vor Schluss, beim Stand von 3:0, wurde er eingewechselt.