Bloß nicht zu schnell auftauchen
Sie fühlt sich immer noch ein wenig seltsam an, die neue 2-G-Freiheit. Der Club Astra in Friedrichshain ist pickepackevoll beim Konzert von Apparat, Abstände und Masken braucht es nicht mehr, weil ja alle genesen oder geimpft sind. Doch eine supergelöste Stimmung will beim Publikum trotzdem nicht aufkommen.
Intuitiv achtet man immer noch darauf, anderen Besuchern bloß nicht zu nahe zu kommen, und es scheint Konsens bei allen Gästen zu sein, jetzt bloß nicht auszurasten, auch wenn man endlich mal wieder ein Livekonzert unter Bedingungen erleben darf, die denen vor der Pandemie zumindest ähneln.
Es liegt aber auch am eher zurückhaltenden und keiner klaren Dramaturgie folgenden Auftritt von Apparat, dass sich im Astra die in den schweren Corona-Monaten angestaute Energie nicht so richtig entladen mag. Der Berliner Sascha Ring, Kopf von Apparat, der sein ursprüngliches Soloprojekt längst zu einer Band aufgeblasen hat, tut alles dafür, Ansätze von Euphorie beim Publikum sofort wieder zu bremsen. Ganz so, als ob es ihm selbst auch nicht ganz geheuer ist, vor so vielen Leuten zu spielen, während in den Talkshows davon geredet wird, dass auch eine Impfung nicht hundertprozentig vor dem Virus schützt.
Der Fronsänger hat sich neu erfunden
Sascha Ring hat es geschafft, sich mit Apparat von den eigenen Wurzeln im Bereich der Frickelelektronik weitgehend zu entfernen. Er hat sich selbst als passablen Sänger entdeckt und damit einhergehend auch das Format des fast schon klassischen Popsongs, der in ein paar Minuten von großen Gefühlen erzählen kann.
Er ist längst nicht mehr der Typ hinter den elektronischen Geräten, sondern der Sänger in der Mitte seiner vier Mitmusiker, die Gitarre in der Hand. Aber ein Bono, ein Liam Gallagher, ein Charismatiker, dem man sofort verfällt, will oder kann er nicht sein.
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Und wenn er sich doch einmal traut, beherzt ins Mikro zu singen und eine dazu passende Pose einzunehmen, kommt nach dem kurzen Popmoment auch schon wieder ein Stück, das in sich zusammenfällt oder endlos zerfasert. Da packt dann einer aus seiner Combo die Posaune aus, die Violine oder das Cello oder zwei Gitarren heben gleichzeitig zum jazzigen Jam an und man denkt sich immer wieder, das ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, sich noch ein Bier zu holen.
Die Bühnenshow von Apparat ist ähnlich bedächtig. Die meiste Zeit steht die Band fast komplett im Dunkeln. Mit Lichteffekten wird gegeizt, als würden sie extra kosten. Und dann taucht Ring immer wieder ab, kniet auf dem Boden und verharrt da, als wollte er wirklich um jeden Preis die Rolle des Rockmessias vermeiden, der die Leute in die Ekstase treibt.
Keine klar umrissene Identität
Dass man diesen Auftritt von Apparat nur so schwer zu fassen bekommt und keinen roten Faden erkennt, der sich durch das Live-Set zieht, liegt aber nicht nur daran, dass sich hier nach langer Konzertpause eine Band erst wieder finden muss. Apparat ist in den über 20 Jahren seiner Existenz einfach zu vielgestaltig geworden, um eine klar umrissene Identität zu haben.
Die Entwicklung, die das Projekt durchgemacht hat, ist sehr ungewöhnlich. Aus Apparat mit seiner Musik für ein paar Nerds wurde irgendwann eine international erfolgreiche Band, die nicht zuletzt die Titelmelodie der weltweit bekannten Netflixserie „Dark“ lieferte, was eine unfassbare Vergrößerung des Publikums mit sich brachte.
Sehnsucht nach, endlich wieder alles zu vergessen
Gleichzeitig gönnte sich Sascha Ring weiterhin das Schreiben von Musik für Theater und kleine Filme und arbeitete verstärkt mit Orchestermusikern. Und dann war noch der gigantische Erfolg mit dem Technoprojekt Moderat, das aus ihm und dem Modeselektor-DJ-Duo Gernot Bronsert und Sebastian Szary bestand. Monsterhits wie „A New Error“ und „Bad Kingsom“ gehören auch nach der Auflösung von Moderat zu den oft gespielten Klassikern in kleinen Clubs genauso wie in Großraumdiscos.
Irgendwo zwischen Rave, Pop, Postrock und der sogenannten Neo-Klassik verortet sich jetzt auch Sascha Ring mit Apparat. Eine genauere Standortbestimmung lässt sich auch nach diesem Konzert im Astra nicht vornehmen. Diese Unbestimmtheit hat durchaus was, Einförmigkeit lässt sich dem Auftritt von Apparat schließlich als Letztes vorwerfen. Aber man verliert sich auch ein bisschen in diesem gefälligen Allerlei. Am Ende fühlt man sich doch darum betrogen, bei einem Livekonzert wenigsten für einen kurzen Moment mal wieder alles um sich herum vergessen zu können – außer die Musik.