Wunden, die nie mehr heilen
Wenn jemand 35 Jahre an einem Buch arbeitet, dann ist das schon eine Ansage. So lange hat die Comic-Legende Barry Windsor-Smith an „Monsters“ (Fantagraphics, 368 S., ca. 25 €, ab November 2021 auf Deutsch bei CrossCult) gesessen. Über die Zeit wurde das Buch zum Weißen Elefanten: Man wusste, dass es existiert, aber niemand rechnete damit, diesen Band jemals zu sehen.
„Monsters“ begann seine Genesis als ganz normales „Hulk“-Heft, doch dann überwarf sich Windsor-Smith mit den Redakteuren bei Marvel, wie er sich mit so ziemlich allen Redakteuren, Verlegern und vielen Kollegen im Verlauf seiner 50 Jahre langen Karriere überworfen hat.
Meist ging es um künstlerische Freiheiten, um Rechte an der und Kontrolle über die eigene Arbeit, die er sich erkämpft hatte. Vor 20 Jahren zog sich der damals 50-jährige gebürtige Brite aus dem Comic-Business zurück. Aus dem 30 Seiten langen „Hulk“-Heft ist jetzt ein 368 Seiten langes Hardcover geworden.
Es ist die Geschichte des jungen Robert Bailey, wie Windsor-Smith selber ein Kind der späten 40er Jahre. Der Vater kehrte erst spät aus dem Krieg zurück ins ländliche Ohio, versehen mit seelischen Wunden, die nie mehr heilen sollten. Er schlägt, demütigt und verkrüppelt den Jungen, die Mutter setzt dem wenig entgegen.
14 Jahre später meldet sich Bobby freiwillig bei der Armee und landet bei genau der Einheit für experimentelle Medizin, für die schon sein Vater tätig war. Bobby wird in ein extrem starkes, aber von Geschwüren überzogenes Monster verwandelt. Er flieht, wird verfolgt und landet schließlich in einer Falle, die sich als sein Geburtshaus entpuppt.
Anklänge an Hieronymus Bosch
Sicher ist von Anfang an, dass Bobby nicht das einzige Monster in diesem Buch ist. Aber das Mosaik der Handlung, setzt sich nur langsam durch elegante Rückblenden vor dem Auge des Lesers zusammen.
Höhepunkt sind die verstörenden Szenen im Versuchslabor eines Konzentrationslagers, die wohl nicht zufällig an die höllischen Visionen eines Hieronymus Bosch oder Pieter Breughel erinnern. Und genau wie bei diesen beiden Künstlern kann man sich in den detailreichen Seiten von „Monsters“ verlieren, den feinen, schwarzen Strichen und der flächigen Kreuzschraffur, die im Kontrast zu den weißen Bereichen stehen.
„Mein mittlerer Name ist Frustration“, erzählt BWS in einem Video-Interview mit dem Buchhändler und Podcaster Brian Hibbs. über den Entstehungsprozess des Buches. Immer wieder verwarf er ganze Sequenzen, ging zurück zur falschen Abzweigung, um dann einen richtigeren Weg zu nehmen.
„Das Buch zu veröffentlichen war wie eine Scheidung“
Windsor-Smith ist hier als nachdenklicher, alter Hippie zu sehen, komplett mit einer runden John-Lennon-Nickelbrille, graumelierten Bart und einen cremefarbenen Stetson, der die langen Haare bedeckt.
Ob er denn jetzt, wo „Monsters“ endlich das Licht der Lesewelt erblickt hat, glücklich, erleichtert sei? „Das Buch zu veröffentlichen war wie eine Scheidung. Aber es gibt wenig darin, mit dem ich nicht glücklich bin“, lautet die Antwort.
„Monsters“ wird wohl die letzte Arbeit von Barry Windsor-Smith sein, ein Abschied auf der Höhe seines Schaffens: „Vielleicht mache ich noch ein Making-Off-Buch, aber das war’s dann.“