Die WM in Katar beginnt jetzt
Als Hansi Flick aus dem Halbdunkel ins Licht trat, da war er erst einmal nachhaltig irritiert. „Ist das normal, dass das so blendet?“, fragte er, nachdem er auf dem Podium für die Pressekonferenz Platz genommen hatte, und knipste mit den Augen.
Flick, der Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, wird sich wohl daran gewöhnen müssen, dass er und sein Team in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten besonders gut ausgeleuchtet werden; dass das Licht noch ein bisschen heller gleißt und er noch stärker im Fokus steht, als er es qua Amt ohnehin schon tut. Es ist: WM-Jahr.
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„Es ist natürlich ein anderes WM-Jahr“, sagt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. Weil die Endrunde in Katar nicht im Anschluss an die aktuell laufende Bundesligasaison beginnt, sondern erst im November, mitten in der kommenden Spielzeit, ist es eigentlich noch ein bisschen hin, bis es ernst wird. Aber, „das Turnier muss schon jetzt präsent sein, auch im April, im Mai, im Sommerurlaub“, sagt Bierhoff. „Auf eine WM kann man sich nicht über Nacht vorbereiten.“
Auf den ersten Blick startet die Nationalmannschaft an diesem Samstag (20.45 Uhr, live im ZDF) im beschaulichen Sinsheim mit einem Testspiel gegen Israel, die Nummer 77 der Welt, in das neue Länderspieljahr. Auf den zweiten Blick ist diese Partie für Flick und sein Team schon so etwas wie das inoffizielle WM-Eröffnungsspiel. Zumindest will der Bundestrainer, dass seine Spieler es als solches verstehen. Den „absoluten Fokus“ verlangt er von der Mannschaft. „Jetzt wollen wir überprüfen, ob wir alles richtig gemacht haben.“
Dass Nationalspieler keine Nebenbeschäftigung ist, sondern ein zweiter Hauptberuf, das propagiert Flick schon länger. „Jeder einzelne Spieler muss versuchen, an sich zu arbeiten! Nicht nur im technisch-taktischen Bereich, sondern auch physisch“, fordert er. Jeder müsse noch einen Tick mehr machen, um topfit zu sein. „Das werden wir überprüfen.“
Eine besondere Vorbereitung auf eine besondere WM
Die besonderen Umstände der WM am Persischen Golf erfordern auch eine besondere Vorbereitung. Das ganze Jahr ist eng getaktet. Neben den beiden Testspielen in diesen Tagen – erst gegen Israel, dann am Dienstag in Amsterdam gegen Holland – stehen für Flick bis zum Turnierstart nur noch zwei weitere Länderspielperioden an: im Juni mit insgesamt vier Spielen der Nations League gegen England, Italien und Ungarn und im September mit den beiden restlichen Begegnungen dieses Wettbewerbs. Am 14. November geht der Ligaspielbetrieb in die WM-Pause, und nur eine Woche später beginnt bereits die Endrunde in Katar. Zeit für eine klassische Vorbereitung auf das Turnier bleibt da nicht.
„Wir werden den Juni nutzen, um möglichst viel mit den Spielern zu arbeiten“, sagt Manager Bierhoff. Da trifft sich der Kader – wie schon bei der EM vor einem Jahr – in Herzogenaurach zu einer Art Trainingslager und reist von dort zu den Spielen der Nations League. „Das ist ein wichtiger Zeitpunkt, um die Mannschaft noch mehr zu prägen und zu formen“, glaubt Bierhoff.
Flick muss viel improvisieren
Aktuell ist das vor allem aus personellen Gründen nur bedingt möglich. Flick fehlen für die beiden anstehenden Partien mit Joshua Kimmich, Serge Gnabry, Leon Goretzka, Niklas Süle, Marco Reus, Jonas Hofmann und Robin Goosens gleich sieben Spieler, die Ansprüche auf einen Platz in der Startelf erheben können; dazu fallen Florian Wirtz, Karim Adeyemi und Robin Koch aus. Und Kapitän Manuel Neuer räumt gegen Israel für Marc-André ter Stegen und Kevin Trapp seinen Platz im Tor. Beide sollen je eine Halbzeit spielen.
Der Bundestrainer hat viel improvisieren müssen, hat unter anderem den weitgehend unbekannten Mainzer Anton Stach erstmals in sein Aufgebot berufen, zudem nach fünf Jahren Pause Julian Weigl reaktiviert. „Ich spüre, dass viel positive Energie da ist“, hat der defensive Mittelfeldspieler von Benfica Lissabon über seine bisherigen Eindrücke im Kreis der Nationalmannschaft berichtet.
Ein großes Geheimnis hat Weigl damit nicht verraten. Die bleierne Schwere rund um das Team ist verflogen, seitdem Hansi Flick im Sommer nach der EM die Geschäfte übernommen hat. Sieben Spiele hat das Team unter ihm bestritten, alle sieben wurden gewonnen, und das mit einer Tordifferenz von 31:2.
Auch wenn die Gegnerschaft nicht zur ersten Kategorie des Weltfußballs gehört hat, „das sind Statistiken, die dir Aufschwung geben“, hat Thomas Müller gesagt. Aufschwung für ein Jahr, das noch verdammt lang werden kann. Und soll.