Anstifter zum Anderssein
Bei Oswald Wiener besteht ein veritables Problem: In welche Schublade soll man ihn stecken? Am besten in gar keine, weil er ja frech aus jeder wieder herausspringen würde. Was der Wiener, geboren am 5. Oktober in Österreichs Hauptstadt, zunächst begann, das war ein Studium. Schon die Wahl der Fächer – Rechtswissenschaft, Musikwissenschaft, afrikanische Sprachen, Mathematik – zeigt an, dass hier kein grundsolides Leben gelebt werden sollte. Wiener wurde zunächst Autor, er blies die Trompete in der “Wirklichen Jazzband”, zum Geldverdienen arbeitete er bei Olivetti in der Datenverarbeitung.
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Damals, in den 50er und 60er Jahren, herrschte auch in Östereich eine bleierne Zeit. Also wurde es Zeit, dass wenigstens an den Universitäten sich die 68er bemerkbar machten. Wiener wurde Mitglied der “Wiener Gruppe” um Friedrich Achleitner, Konrad Bayer und Gerhard Rühm. Viel Jazz, viel Dada, viel Präpotenz, viel Spott, eine Melange aus Ästhetik und Extremismus. Das war wüst, das war rabiat, das verstörte die bürgerliche Öffentlichkeit. Aber was radikal geht, das immer auch noch radikaler. Zusammen mit den Schleim. Sex- und Scheiße-Provokateuren Otto Muehl und Günter Brus ging es nicht auf der Bühne ins Voll-Extreme, nach der Aktion “Kunst und Revolution” in der Wiener Uni, legendär geworden als “Uniferkelei” im Juni 1968, drohten ihm sechs Monate Haft wegen Gotteslästerung. Schon da war Wiener nicht nur der Provokateur, sondern einer, der mit entschiedenem Sarkasmus gegen das “gesund-heroische ideal den kosmos regierenden homo sapiens” agitierte. Wieners Sprachfetisch war die Kleinschreibung, schon in seinem Prosatext “die verbesserung von mitteleuropa. roman” Ende einer 60er Jahre hatte er davon Gebrauch gemacht. Vielleicht sein Hauptwerk in einem riesigen Konvolut von Schriften, die beim Entwurf eines “Glücks-Anzugs”, der nicht nur den Menschen in die Glückseligkeit versetzen, sondern zugleich alle Weltproblem lösen sollte. Darunter war er nicht zu haben, der Kybernetiker und Nachdenker über das, was später Künstliche Intelligenz heißen sollte.
Flucht nach Westberlin
Oswald Wiener tat, was manche in jener Zeit taten: Er floh in die Enklave West-Berlin, wo jeder seins machte. Schnell wurde er zum Magneten des kulturellen Nachtlebens. Quecksilbrig wie eh und je gründete und betrieb er die Künstlerkneipen “Matala”, “Exil” und “Axbax”. Aber Schlaukopf, der er war, bediente er nicht nur die Zapfhähne des Nachts, sondern studierte tagsüber Mathematik und Informatik an der TU Berlin. Spätestens seit dieser Zeit bestand der Schwerpunkt seiner Arbeit in einer Synthese aus Kognitionswissenschaften und künstlerisch-philosophischer Literatur. Wie er selbst sagte, versuche er, “naturwissenschaftliche Denkweisen auf die Philosophie anzuwenden”.
Mit Ehrungen überhäuft
Einem solchen Feuerkopf wurde selbst Berlin zu klein. Er ging nach Kanada, verbrachte dort mit seiner Frau, der Künstlerin Ingrid Wiener, mehrere Jahre, ließ sich einbürgern. Aber so ein richtiger Österreicher kann nicht ohne Österreich. Wiener kehrte zurück, wurde mit Ehrungen und einem Ehrendoktor überhäuft, zudem arbeitete der Anstifter zum Anderssein von 1992 bis 2004 als Professor für Ästhetik an der Kunstakademie Düsseldorf. Gestorben ist Oswald Wiener selbstredend in Wien, am 18. November an den Folgen einer Lungenentzündung.