Unter der Sonnendusche
Versonnen lächelt der Junge. Versunken in sein Geigenspiel, getragen von leuchtendem Gelb und umgeben von einer Tierschar, scheint er der Welt entrückt. Farbfetzen fliegen, rötliche Kringel steigen wie Gedankenblasen auf. Treffen auf den gleichmäßig gemalten Hintergrund wie grob collagierte Bruchstücke. Stören das Idyll. Allein der Ziegenbock blickt wissend. Scheint zu ahnen, dass etwas aus den Fugen gerät. Was unserem menschlichen Auge verborgen bleibt, das Tier kann es sehen, erspüren.
„Corona-Tagebuch“ nennt die Berliner Künstlerin FRANEK ihre Serie, der das Diptychon entstammt. Bilder wie eine Sonnendusche, die in der Galerie Kleiner von Wiese zu sehen sind. Als wolle die Malerin dem tristen Zustand der Pandemie trotzen. Ebenso heiter wie im Duktus unüblich, ist FRANEK mit ihren Farb- und Zeitschichtungen doch eigentlich mehr dem Informel verbunden. Doch stilistischen Schubladen verweigert sich das Werk der 1939 Geborenen ohnehin. Auch in den ebenfalls jüngst entstandenen „Kojotengeschichten“ durchstreift das Tier minimalistische Szenerien, flankiert von Zweiglein, Federn oder trockenes Blattwerk, das wie ein abstrahiertes Zeichen an die Oberflächenstruktur des Virus’ erinnert.
Fundstücke ihrer Recherchen, appliziert als Bricolage. Auf den ersten Blick könnte das französische Wort für Bastelei oder Heimwerken selbst bei der puren Malerei des oben erwähnten Diptychons wörtlich genommen werden. Doch rekurriert FRANEK mit ihrer Technik auf den Anthropologen Claude Lévi-Strauss, der den Gegenpart zum rationalen Ingenieur im improvisierenden Bricoleur ausmachte, der mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen arbeitet.
Eine intuitive Herangehensweise, die sich FRANEK früh zu eigen gemacht hat. „Auf meinen Reisen habe ich nie etwas mitgenommen, sondern immer mit dem gearbeitet, was ich gefunden habe. Das konnten schon mal Kuhfladen oder Schlangenhäute sein“, erzählt die in Berlin und Radegast arbeitende Künstlerin. Ab den 1970er-Jahren führten sie Reisen und Stipendien nach Ägypten, in den Kulturbereich indigener Völker in Mexiko, Honduras oder Guatemala, später zu den Lakota (Sioux) im Rosebud Reservat, USA, deren Rituale sie für das Übersee-Museum Bremen aufgezeichnet hat.
Ja, und dann war da noch das Nazca-Projekt, erzählt sie wie beiläufig, als sei es die größte Selbstverständlichkeit. Dabei war es nicht gerade üblich, dass eine junge Künstlerin sich in die peruanische Wüste begab, um der berühmten Mathematikerin Maria Reiche bei der Erforschung und Vermessung der prähistorischen Nazca-Linien zu assistieren.
Für FRANEK markierten ihre Reisen und Stipendien einen notwendigen Bruch. Studiert hatte sie in Berlin an der heutigen Universität der Künste bei Fred Thieler. Doch im Alltag ging sie ihrer Kunst am abends frei geräumten Küchentisch nach. „Das Atelier hatte der Mann“, erzählt sie. „Eduard Franoszek, Mitbegründer der Künstlergruppe Großgörschen 35. Der war damals bekannter, und ich hatte die Kinder.“ Doch ihre Neugierde, ihre Courage und ihr beeindruckender Elan, den sie auch mit 81 Jahren noch versprüht, obsiegten.
Das größte Bild misst fünf Quadratmeter
Dem ersten Kojoten begegnete sie 1991 in den Redwood-Wäldern im Norden Kaliforniens. Seitdem ist er zu einer Art Totemtier geworden. Ein Trickster, der mit List die Ordnung des Universums durcheinanderbringt. Diese Ordnung hinterfragt FRANEK mit ihrer Kunst. „Ist hier ein Nashorn im Raum?“ Klar! Ist unübersehbar, schon beim Eintritt in die Galerie. Auf fast fünf Quadratmetern schält sich der Dickhäuter aus dem Hintergrund, ihm gegenüber eine kindliche Prinzessin, die ihn hervorgezaubert zu haben scheint. Die Frage, die sowohl dem Bild als auch der Ausstellung als Titel dient, ist natürlich philosophischer Natur. Fußend auf einer Anekdote, nach der Ludwig Wittgenstein seinem Lehrer Bertrand Russel beweisen wollte, dass es eben keinen Beweis gäbe, dass kein Nashorn im Raum sei, weil man es vielleicht im Moment nur nicht sehen könne. Sogar unter dem Sofa soll Russel nachgesehen haben. Überzeugt war er am Ende nicht.
[Galerie Kleiner von Wiese, Friedrichstr. 204, bis 20. Juni; Sa/So 15-18 Uhr, www.kleinervonwiese.com]
Dem setzt FRANEK entgegen: „In der Imagination des künstlerischen Prozesses ist alles möglich. Ideen, Träume und Visionen brauchen keine Beweise.“ Die Fragen um Bild, Abbild und Abgebildetem betreffen unsere Wahrnehmung. Was nicht zuletzt der surrealistische Maler René Magritte mit seinem berühmten Bild „Ceci n’est pas une pipe“ unter Beweis gestellt hat. So ist das Nashorn im Raum und wiederum auch nicht im Raum. Vielleicht ist es nicht einmal im Bild, ist einfach nur Farbe. FRANEK lässt den Assoziationsraum offen und wirkt dabei ein bisschen wie Alice, die das Wunderland durchstreift und dennoch eigenwillig verwurzelt in der Wirklichkeit steht. Die Preise ihrer Bilder liegen bei 980 bis 24.000 Euro.