Ufo-Alarm im 17. Jahrhundert : Die Berliner Kunstbibliothek erforscht eine bizarre Mediensensation
Aus Vogelschwärmen am Himmel formieren sich Kriegsschiffe, die sich heftige Kämpfe liefern. An Deck wimmeln gespenstische Gestalten. Es ist ein bizarrer Anblick, den sechs Fischer am 8. April 1665 um 14 Uhr beim Heringsfang vor Stralsund erleben. Und als gegen Abend auch noch eine fliegende Scheibe über dem Turm der Kirche Sankt Nikolai erscheint und die Fischer, allesamt respektable Stralsunder Bürger, anderntags über Unwohlsein klagen, ist die Mediensensation perfekt.
Schon am 10. April erscheint ein Flugblatt, dass unter namentlicher Nennung der Augenzeugen eine „Gründliche Relation“, also quasi einen amtlichen Bericht über die Ereignisse verheißt. Alsbald wird die „Luftschlacht zum Stralsund“ im deutschsprachigen Raum zur Sensation. Verbreitet von einem bereits hochentwickelten Mediensystem aus Blättern, Postzeitungen und populären Büchern, dessen Mechanismen sich kaum von der heutigen Berichterstattung über angebliche Ufo-Sichtungen unterscheiden. Obwohl dazwischen 350 Jahre liegen, eint sie die Lust am Spektakel und der ökonomische Wunsch, Auflage oder Klicks zu machen, wie Kurator Moritz Wullen festgestellt hat.
Das ist mal ein originelles Thema, dass der Direktor der Kunstbibliothek in der eigenen Sammlung und der Staatsbibliothek recherchiert und in eine Ausstellung verwandelt hat. „UFO 1665. Die Luftschlacht von Stralsund“ versammelt 50 historische Darstellungen, die im Original in Buchform in Vitrinen ausgestellt sind, und zugleich – der besseren Betrachtungsmöglichkeit wegen – als Reproduktion an der Wand.
Ausgehend von der dramatischen Illustration der „Luftschlacht von Stralsund“, die der von keinerlei Ortskenntnis angekränkelte Nürnberger Kupferstecher Johann Alexander Böner 1680 allein aufgrund von Erzählungen anfertigt, bewegt sich die Schau durch barocke Bilderwelten der Luftschiffe, Weltraumraketen, Feuerkugeln, Flugscheiben und sonstiger Wunderzeichen. Wie dem „Blutregen von Dinkelsbühl“, einem kolorierten Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert.
Blutregen von Dinkelsbühl
Die roten Flecken, die eine Hausfrau 1551 auf ihrer Wäsche entdeckt, würden heute vermutlich als Sahara-Staub erklärt. Damals erinnert ein Flugblatt die alarmierte Leserschaft postwendend an das Blut Christi, dass er für die sündige Menschheit vergossen habe und ermahnt zum christlichen Lebenswandel.
Die Bereitschaft, den Menschen als unerklärlich geltende Phänomene für göttliche Warnzeichen zu halten, war bis weit in das 17. Jahrhundert hinein allgegenwärtig. „Man lebte permanent in apokalyptischer Paranoia“, sagt Moritz Wullen und beschreibt den Himmel in der Wahrnehmung jener Zeit als „Screen, über den Gott mit der Menschheit kommuniziert“.
Auch die „Luftschlacht von Stralsund“, deren Erklärung als Spiegelung einer realen Seeschlacht nicht ganz funktioniert, weil keine zu dem Zeitpunkt überliefert ist, transformiert sich in ein „Progidium“, also ein Vorzeichen. Fünf Jahre nachdem die „Scheibe“ über dem Kirchturm der Stralsunder Kirche erschienen ist, schlägt der Blitz dort ein. Prompt wird das Ereignis im Nachhinein als Zorneszeichen Gottes interpretiert.
Zwar wusste man seit der Kopernikanischen Wende, also der Abkehr vom Geozentrischen Weltbild, in dem die Erde den Mittelpunkt des Sonnensystems darstellt, dass andere Planeten existieren, ja ein Kupferstich von 1702 zeigt gar eine Rakete, die mit qualmenden Schweif von einem Planeten zum anderen fliegt, trotzdem verabschiedet man sich erst am Ende des 17. Jahrhunderts von der zuvor herrschenden Idee einer göttlichen Hyperphysik.
Bei allem zeitgenössischen Gerätsel darüber, was hinter Himmelserscheinungen, deren optische oder physikalische Ursachen noch unerkannt waren, stecken mochte: Niemand kam damals – anders als Ufologe Erich von Däniken – auf die Idee, dass es sich um Außerirdische handeln könnte. Als Grund dafür kommt keineswegs mangelnde Technikbegeisterung oder mangelnde Fantasie infrage, wie die Illustrationen dampfender Luftschiffe und flammender Feuerräder zeigen.
Nur genießt die Erde in den Weltraumerzählungen der Neuzeit keinen guten Ruf, sondern gilt als Planet kostümierter, unzivilisierter Affen. „Die Aliens des 17. Jahrhunderts sind eingefleischte Misanthropen“, sagt Moritz Wullen und weist auf den einzig dargestellten: Micromégas, eine von Voltaire erfundener Riese aus dem Sirius-System, der die Erdlinge als hochmütiges und engstirniges Ungeziefer erlebt.
Auch das vereint die historischen Ufo- und Alien-Darstellungen mit denen der Gegenwart. Sie transportieren menschliche Projektionen und Manipulationen. Den Annex von „UFO 1665“ bilden Videos von angeblichen Ufo-Sichtungen ab 2004, die das US-Pentagon 2019 veröffentlichte und die seither vielfach Gemüter und Social Media erregten.
Einige der Objekte sehen aus wie in Kreuzform fliegende Schwärme, andere wie leuchtende TIctac-Pastillen – ziemlich unwahrscheinlich, dass Alien nichts anderes kennen als humanoide Bildtraditionen.