Überwältigt vom Zaubergeiger
Zuerst erklingt der andere Strawinsky, der brave, einfühlsame Romantiker, der kaum bekannt ist, denkt man bei seinem Namen doch an den Schöpfer des vulkanischen „Sacre“ und den Meister vieler Stilexkursionen. Für das Ballett „Les Sylvides“ hat er 1909 das Nocturne As-Dur von Chopin orchestriert, eine träumerische kleine Nachtmusik.
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Das Deutsche Symphonie-Orchester eröffnet mit dem Stück das letzte Konzert seiner Jubiläumssaison zum 75-jährigen Bestehen. Igor Strawinsky, der in den frühen Jahren des Orchesters unter Ferenc Fricsay meistgespielte Komponist der Moderne, präsentiert sich auf diesem Programm als der Wandelbare: von den Melodien der Romantik zu dem Ballett „Petruschka“, in die lustige und zugleich raue Welt des Jahrmarkts. Die Musik geht mit blitzartigen Episoden bis zur Persiflage.
Am Pult des DSO steht wiederum nach einem gespannten Mahler-Dirigat 2019 der amerikanische Maestro David Robertson. Und er schafft es mit dem blendend aufgelegten Orchester, dass die himmlisch instrumentierte Partitur ihre Zirkus-Atmosphäre entfaltet. Die Musik um drei Gliederpuppen, die plötzlich zum Leben erwachen, kann funkensprühender nicht interpretiert werden.
Tschaikowkys Violinkonzert
Petruschka, „der ewig unglückliche Held der Jahrmärkte“ (Strawinsky), sein Rivale und die Ballerina tanzen durch die klingende Bilderflut der Budenbesitzer, der Menschenmenge, Zauberer, Mädchen und Kutscher. Robertson wirkt inspirierend, zumal auf das wunderbare Bläserensemble des DSO, dem er jeden Raum lässt, sich solistisch zu entfalten. Die Flöte Kornelia Brandkamps leuchtet, Falk Maertens spielt die bezwingenden Trompetensoli.
Strawinsky hat seinen Landsmann Pjotr Tschaikowsky bewundert. Dessen Violinkonzert fügt sich sehr passend in das russische Programm aus der Zarenzeit. Ungewöhnlich aber, dass sich schon nach dem ersten Satz entschlossener Zwischenapplaus zu einer wahren Ovation steigert.
Auftritt Gil Shaham
Das Publikum ist einfach überwältigt von dem Zaubergeiger Gil Shaham. Lächelnd betritt er das Podium der Philharmonie, in seiner Lockerheit ein wenig auch Entertainer, um eine oft flüsternde Virtuosität mit überschäumendem Temperament zu entfalten. Sein Ton hat ohne jede Aufdringlichkeit, die Tschaikowsky gern unterschoben wird, Fülle und Schmelz. Viel Innerlichkeit ist in seinem Spiel, leises Trillern, betörendes Pianissimo.
Mit diesem Spielzeit-Finale repräsentiert das DSO hervorragend die reiche Orchesterlandschaft Berlins.