Treppauf treppab ab mit Christian Boros durch den Bunker

Spooky kommt es einem vor: Wie von Zauberhand richten sich die Kinder-Orthesen der mexikanischen Künstlerin Berenice Olmedo auf, die ansonsten dem Laufenlernen dienen. Die durchsichtig schimmernden Körperschalen mit Gurten und Schienen tapsen ein paar Schritte, um wenig später wie erschöpft an langen Fäden auf dem Betonboden zusammenzusinken. Der Bunker, in dem die bizarre Aufführung spielt, erhöht den Schauder, scheint doch alles Licht und natürliches Leben durch das meterdicke Gemäuer absorbiert zu sein.

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Auch die vierte Präsentation der Boros Collection im Hochbunker an der Reinhardtstraße ist ein fein justiertes Spektakel: Arbeiten, die schocken, schmerzen oder Glücksgefühle rieseln lassen, wenn man plötzlich vor einem Gemälde von Wilhelm Sasnal steht, von dem lange nichts zu sehen war. Wie ihre Vorgänger trifft auch diese Bunker-Ausstellung ins Herz, steckt doch sichtbar die Leidenschaft eines Sammlerpaares dahinter, das mit einer exquisiten Hängung eigene Themen setzt.

20 Künstler:innen stellen in den 80 Räumen aus

Diesmal geht es um den Körper, was wir ihm zumuten, welche Spuren Corona hinterlassen hat. Olmedos Orthesen–Marionettentheater passt zu den gewaltsamen Optimierungen an Leib und Seele, die schon Kinder erfahren. Gleichzeitig lassen ihre Puppen ahnen, dass der Ukraine-Krieg das Thema Versehrtheiten sehr viel drastischer in die Mitte unserer Gesellschaft katapultieren wird. Die eisigen, todtraurigen Selbstporträts von Bunny Rogers, in denen sie sich zur Kunstfigur morpht, wirken ebenfalls wie eine Vorausschau auf die mentalen Folgen aktueller Ereignisse.

Christian Boros, der treppauf, treppab durch den Bunker führt, ficht das nicht an. Er kennt die Werke seiner Sammlung nur zu gut. Eine Auswahl von 20 Künstler:innen ist in den 80 Räumen zu sehen. Die US-Künstlerin Bunny Rogers gehört zu seinen Lieblingen. Auch bei den Arbeiten von Anne Imhof bleibt er begeistert stehen und zeigt mit diebischer Freude auf den Riesenkratzer, den die Künstlerin durch zwei nebeneinander gehängte, hochglanzlackierte Platten gezogen hat.

Sammlerpaar Karen und Christian Boros.Foto: Max von Gumpenberg

Autsch! Jedem Autofreak muss es kalt den Rücken herunterlaufen, fühlt es sich doch wie eine Strieme an einer glossy Fahrertür an. Im nächsten Moment ist der Sammler wieder Feingeist und verweist darauf, dass das ineinanderlaufende Schwarz und Rot des Diptychons zugleich an die abstrakten Gemälde Rothkos erinnert.

Oder die Mannequins von Anna Uddenberg: Die verdrehten Frauenkörper biegen ihre Arme so weit nach hinten, das sie ihr sexy Hinterteil mit einem Selfiestick fotografieren können. Uddenbergs Skulpturen hätten ihn zunächst verstört, bekennt Boros, aber seine Frau Karen blieb überzeugt. Nun stehen vier Rollkoffer- und Selfie-Girls der schwedischen Künstlerin ebenfalls im Bunker. Ihre Zurichtungen lassen mehr frösteln als das Gemäuer rundum.

Bei der Eröffnung vor 14 Jahren machte die Feuerwehr Auflagen

Wer in Berlin wissen will, was im Moment am heißesten begehrt ist, etwa die elegischen Freundesbilder des New Yorker Malers Louis Fratino, sollte sich also ein Ticket buchen und im Tross mit elf weiteren Kunstinteressierten durch die Räume führen lassen. Diese Auflage der Feuerwehr seit Eröffnung des Bunkers vor 14 Jahren hat sich zur Marke entwickelt, freut sich der Branding-Experte und Agenturbesitzer noch ein bisschen mehr.

„In Museen ist man Besucher, in privaten Sammlungen Gast“, sagt er später beim Glas Wein in der privaten Wohnung, die als Loft auf den Bunker gesetzt ist. Nach dem Kölner Ehepaar Erika und Rolf Hoffmann war er der zweite Sammler, der damals aus Wuppertal nach Berlin umzog und mit dem spektakulären Bunkerumbau den Ruf der Kunststadt festigte.

Privates Engagement sollte mehr gewürdigt werden, findet Boros

Boros begleitet seitdem das Auf und Ab, die Wegzüge und Neuankömmlinge. Erika Hoffmanns Entscheidung, ihre Kollektion nach Dresden zu geben, nennt er ein Versäumnis der Berliner Museen. Mangelnde Wertschätzung hält er für den Grund, warum die Kollektion von Berlins bekanntester Sammlerin die Stadt verlässt. „Wertschätzung ist eine Währung“, betont Boros. „Privates Engagement sollte mehr zur Kenntnis genommen werden.“

Und doch dreht sich seiner Beobachtung nach gerade der Wind. Bestes Zeichen dafür war die Einladung aller Kunstakteure an einen „Riesentisch“, die Kultur- und Wirtschaftssenator gemeinsam ausgesprochen hatten. Der Wirtschaftssenator erwies sich als erstaunlich kulturaffin und stellte den Galeristen Förderung in Aussicht, wenn sie auf Messen außerhalb der Stadt Berliner Künstler vorstellen.

[Buchung der Tickets/Führungen unter www.sammlung-boros.de/fuehrungen-buchen]

Boros redet sich jetzt in Fahrt, schwärmt von Berlins „wunderbarer Gemengelage“, den tollen Museen und Galerien. Anders als in München gäbe es hier eine „kongeniale Mischung“. Es müssten sich nur alle gegenseitig unterstützen, wirken lassen, wie bei einem Brillanten, dessen Strahlkraft sich erst durch die Vielzahl der Facetten entfaltet. Man merkt, es arbeitet in ihm, ihm gefällt das Bild. Wer weiß, vielleicht steckt darin schon die nächste Kampagne.