„The Banshees of Inisherin“ im Kino: Fünf Finger für den besten Freund

Hinter der Küste der irischen Aran Inseln, deren Landschaft ein wenig an Mittelerde erinnert, scheint die Welt zu Ende zu sein – zumindest jener Teil, den man aus westlicher Perspektive als Zivilisation bezeichnet. Wären da nicht die regelmäßigen Donnerschläge von Kanonen im Hintergrund zu hören, die auf die Anwesenheit des Menschen hindeuten.

Auf dem Festland herrscht Anfang der 1920er Jahre Bürgerkrieg, der die Bewohner der Insel Inisheer aber kaum tangiert (falls nicht gerade der Dorfpolizist für eine Hinrichtung abkommandiert wird). Der Leben auf Inisheer ist eintönig, Pub und Kirche sind die sozialen Fixpunkte der Gemeinschaft. Weswegen der Vorwurf „Du bist langweilig“ an diesem, ja, gottverlassenen Ort umso mehr schmerzen muss.

Keine Zeit mit sinnlosem Geschwätz vergeuden

Colm (Brendan Gleeson) knallt den Satz eines Tages seinem besten Freund Pádraic (Colin Farrell) ins Gesicht – und kündigt ihm die Freundschaft. Der einfältige Pádraic glaubt zunächst, dass er seinen Freund im Pub nach einem Glas zu viel beleidigt habe. Seine Schwester Siobhan (Kerry Condon) wiederum vermutet, dass Colm depressiv sei. Doch der hat lediglich beschlossen, die restlichen Jahre seines Lebens nicht weiter mit sinnlosem Geschwätz zu vergeuden und sich stattdessen seiner Musik zu widmen. Als Siobhan, die mit Pádraic und dessen Zwergpony Jenny unter einem Dach lebt, Colm zur Rede stellt, entgegnet sie entgeistert: „Aber er war immer langweilig. Was ist plötzlich anders?“

Martin McDonaghs Drama „The Banshees of Inisherin“ beginnt also mit einer poetischen Disruption. Colms Ankündigung bringt die Ordnung der unerschütterlichen Gemeinschaft durcheinander, die nicht mal der Krieg aus ihrem provinziellen Stupor gerissen hat. Für Pádraic, der stundenlang über die Konsistenz der Scheiße seines Ponys sinnieren kann, bricht eine Welt zusammen.

Doch seine Versuche, die Freundschaft zu retten, eskalieren. Um zu unterstreichen, wie ernst es ihm ist, droht der passierte Geiger Colm sogar, sich die Finger abzuschneiden. Kein Opfer erscheint zu hoch, um den gutmütigen Pádraic zum Verstummen zu bringen. Der aber macht es zu seiner Mission, den Freund umzustimmen – selbst auf Kosten von dessen körperlicher Unversehrtheit.  

McDonaghs Komödien haben ihren schwarzen Humor schon immer aus einer Vorliebe für überraschende Drastik bezogen. Mit „The Banshees of Inisherin“ hat der irische Regissseur und Dramaturg seinen Landsleuten ein rustikales Porträt gehauen, für das die sturmumtosten Klippen einen wunderbaren Hintergrund abgeben. Brendan Gleeson und Colin Farrell standen schon in „Brügge sehen und sterben“ zusammen für McDonagh vor der Kamera (damals als Auftragskiller), aber „The Banshees of Inisherin“ – in Venedig doppelt ausgezeichnet für Farrells Rolle und McDonaghs Drehbuch und inzwischen auch ein Oscar-Favorit – lässt die Genrespielereien eines Tarantino hinter sich, zugunsten einer tragischen Farce.

Idiotische Männerbündlereien

Der Begriffsstutzigkeit des Einen, versinnbildlicht in Farrells konzentrierter Monobraue, und der essentialistischen Stoik des Anderen, vom Buddha-haften Gleeson buchstäblich ausgesessen, verleihen die stumpfen Kadenzen in McDonaghs Dialogen (ungläubige Wiederholungen, Lakonie, verräterische Auslassungen) eine Eigendynamik. „The Banshees of Inisherin“ dreht sich im Grunde um eine moralische Frage, die gerade auch den Kulturbetrieb beschäftigt: Wie wägen wir menschliche Qualitäten gegenüber dem künstlerischen Schöpfungsakt ab? Colm sagt, dass Nettigkeit noch niemanden unsterblich gemacht habe, Pádraic will den Freund dagegen allein mit Gutmütigkeit überzeugen; auch wenn seine Methoden mit zunehmender Verzweiflung fragwürdiger werden.

In diesem quasi-philosophischen Streit, in dem weder Pádraics Saufkumpane noch der Dorfpfarrer vermitteln können, entpuppt sich Siobhan schließlich als entscheidende Instanz, die ihren unterbelichteten Bruder einerseits liebt, aber auch den musisch ambitionierten Colm versteht. Siobhan, zwischen ihren Büchern selbst eine Außenseiterin auf Inisheer, erträgt die idiotischen Männerbündlereien nur mit einem Augenrollen; sie sitzt bereits auf gepackten Koffern für eine Stelle als Bibliothekarin auf dem Festland.

Siobhan ist so etwas wie die Stimme der Vernunft, die die Selbsttäuschung des Inselvölkchens durchschaut. Ihrem nachsichtigen Blick verdankt „The Banshees of Inisherin“ auch seine Milde – im Gegensatz zu den Figuren in McDonaghs früheren Filmen. So wird Kerry Condon zum heimlichen Mittelpunkt des Films. In einer der schönsten Szenen pariert Siobhan sogar die ungeschickten Avancen des Dorfidoten Dominic (Barry Keoghan), ohne den Jungen seiner Würde zu berauben. „The Banshees of Inisherin“ ist in letzter Konsequenz nämlich auch ein Film über gebrochene Herzen.

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