So magisch sah Sardinien in der Steinzeit aus
Dolmen, die gewaltigen Steingräber, und Menhire sind sichtbare Zeugnisse der Steinzeit, die man in ganz Europa findet, so auch auf Sardinien. Diese zentral im Mittelmeer gelegene Insel überrascht zudem mit Kulturzeugnissen, die bei uns noch weitgehend unbekannt sind. Überreste der Steinzeit prägen die Region bis heute – wie in der Ausstellung „Sardinien – Insel der Megalithen“ im Neuen Museum zu sehen ist.
Berlin ist die erste Station dieser internationalen Schau, die von der Abteilung für Tourismus, Handwerk und Handel der Region Sardinien in Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Nationalmuseum von Cagliari und der Regionaldirektion der Museen von Sardinien, der Staatlichen Eremitage Sankt Petersburg, dem Nationalen Archäologischen Museum in Thessaloniki, dem Nationalen Archäologischen Museum in Neapel und dem Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin erarbeitet wurde.
Rund 200 Objekte aus Steinzeit bis Eisenzeit geben einen faszinierenden Einblick in eine eigenständige Kultur, die trotzdem schon früh Kontakte im Mittelmeerraum pflegte. So zeigt ein Modell das Heiligtum von Monte d’Accodi, einen stufenförmigen Tempel aus dem 4. bis 3. Jahrtausend vor Christus mit einer langen Rampe. Ebenso einzigartig sind die sogenannten Gigantengräber, die „Domus de Janas“ („Häuser der Feen oder Hexen“), in denen bis zu 100 Menschen allen Alters und aller gesellschaftlichen Ränge bestattet wurden.
Prägend für die Kultur der Insel sind die 7000 Nuraghen genannten Rundbauten aus geschichteten Basalt-, Trachyt- und Granitblöcken, die bis zu 20 Meter hoch waren und mehrere Stockwerke enthalten konnten. Oft wurden sie im Verbund mit kleineren Türmen gebaut, in deren Umgebung sich auch Siedlungen befanden.
Der Legende nach lebten die Orks, böse Wesen mit menschlichen Zügen, in diesen Bauten aus der mittleren Bronzezeit bis zur Eisenzeit. Im Laufe der Zeit wurden diese Türme, von denen heute noch viele Kegelstümpfe existieren, zu Kultstätten umgewandelt.
Hoher Grad an Wissen
In der Ausstellung führen sechs große Videostationen mit hervorragenden Drohnenaufnahmen der architektonischen Anlagen in das jeweilige Thema ein. Keramik, Handwerksgerät und Waffen gehören zu den Funden, die in den Nuraghen und in den Domus de Janas gemacht wurden.
Eindrucksvoll ist ein sogenannter Ochsenhautbarren, eine Kupferplatte in Form einer Ochsenhaut mit einem Gewicht von ungefähr 25 Kilo, die als Handelsware aus Zypern ihren Weg nach Sardinien fand. Gussformen zeigen den hohen Grad an Know-how in Sachen Metallverarbeitung.
Das lässt sich auch an den filigranen Kleinplastiken bewundern, die vor allem in den Wallfahrtsstätten der Nuraghen-Kultur gefunden wurden. Krieger mit zwei Schilden und Schwerträger, aber auch ein im Profil dargestellter Bogenschütze – der Bogen fehlt leider – deuten auf Vertreter einer aristokratischen Elite hin.
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Anrührend ist die äußerst komplexe kleine „Pietà“ einer Mutter mit einem klagenden Blick und erhobener Hand auf einem Stuhl. Auf ihrem Schoß sitzt ihr Kind mit zurückgelehntem Kopf. Ein faszinierendes, detailgetreu gearbeitetes Kunstwerk der Eisenzeit.
Das Erbe der Nuraghen-Kultur muss überlebt haben
Aber auf Sardinien konnte man auch groß: erstmals hat die 1,90 Meter große Boxer-Statue die Insel verlassen, Arme und Füße fehlen, aber die Skulptur vermittelt einen Eindruck von einer Grabanlage, in der einst 40 dieser Figuren vor den jeweiligen Gräbern in zwei Reihen gestanden haben müssen.
[Museum für Vor- und Frühgeschichte im Neuen Museum, Bodestraße; bis 30. September 2021. Zeitfenster vorab buchen unter www.smb.museum/tickets]
Dass die Inselbewohner Kontakte in ferne Regionen hatten, davon zeugt eine Bernsteinperle aus dem Ostseeraum. Mit der Ankunft der Phönizier, Karthager und Römer im 3. Jahrhundert vor Christus ging ihre Zeit zu Ende. Das Erbe der Nuraghen-Kultur muss aber überlebt haben, denn Papst Gregor der Große klagte 594 in einem Brief an den christlichen Häuptling Hospito, dass die Bergbewohner noch immer Stein und Holz „verehrten“. Ein Teil dieses Erbes erwies sich gar als so langlebig, dass es noch heute zu bestaunen ist.