Die 17. Istanbul-Biennale: Revolution der kleinen Schritte

In Istanbul geschehen merkwürdige Dinge. Zum Beispiel verschwindet der Laptop eines Journalisten samt Portemonnaie aus dem Hotelzimmer, an der Tür hängt das Schild „Bitte nicht stören“. Nach langer Suche erklärt eine Dame des Hotels, alles sei in Ordnung. Man habe Laptop und Brieftasche in die Safety-Box getan. Der Sicherheitsmann öffnet den Safe und übergibt alles. „Das ist normal“, erklärt eine Biennale-Mitarbeiterin, „man sorgt sich in der Türkei um die Sicherheit. Da preschen manche vor.“

Was stimmt hier, was nicht? Wer andere ausspionieren will, schickt heutzutage Trojaner. Doch es bleiben Zweifel – das gilt auch für die 17. Istanbul-Biennale, eine der renommiertesten der Welt. In diesem Jahr wird dort viel geraunt. Fünfzig Projekte stehen lose nebeneinander, der Besucher muss sich selbst einen Reim darauf machen.

Keine Stars, kein roter Teppich – was ein Trick ist. Denn mit plakativem Protest, das haben die Gezi-Proteste gezeigt, ist in der Türkei nichts zu gewinnen. Stattdessen beschwört Kuratorin Ute Meta Bauer die „Sprache des Wassers, das durch uns alle hindurchfließt“, redet vom „Vogelflug“, einer sanften Chemie der Erneuerung und des Blühens. Das klingt wie PR für ein esoterisches Ritual. Man wolle kein „großer Baum mit reifen Früchten“ sein, eher ein Komposthaufen, in dem es gärt.

Die Performance ist wie ein Peitschenknall

Und dann das: Bei der Performance in Kadikoy, einem industriellen Stadtviertel auf der asiatischen Seite, schwenken weiß gekleidete Jugendliche Fahnen, auf denen „Freiheit“, „Rebellion“, „Demokratie“ steht. Die Performer erstarren, schwirren aus, ein hoch konzentriertes Spektakel.

Dann erscheint ein schwarzer Drache, auf dem Rücken der Schriftzug „Ich beobachte euch“. Diesen Satz verwendet der türkische Staatspräsident Erdogan gerne, wenn es um Intellektuelle und Künstler geht. Er nennt sie auch Schmarotzer, Schmeißfliegen und sinnloses Pack.

Diese Biennale ist nicht für eingeflogene Kunsttouristen gemacht, sondern die Menschen vor Ort.

Ute Meta Bauer, Kuratorin

Der Drache wird in der Aufführung zur Strecke gebracht, die ein Highlight der Biennale ist. In Kadikoy regiert die Opposition, deshalb kann die Aufführung in Gazhane stattfinden, einem zum hippen Kulturzentrum mutierten Gaswerk. Eine Performance wie ein Peitschenknall. „Wenn das am zentralen Taksim-Platz gezeigt würde, kämen die Darsteller innerhalb von fünf Minuten hinter Gitter“, sagt der türkische Journalist Kaya Genç.

Widerstand, sich sammeln, durchatmen – darum geht es auf dieser Biennale. „Diese Schau kommt zu einem speziellen Zeitpunkt“, sagt Ute Meta Bauer. „Sie ist nicht für eingeflogene Kunsttouristen gemacht, sondern die Menschen vor Ort.“

Dazu gehört ein Konzert für das Seegras, stumme Dialoge mit der Natur und ein Festival zu Ehren der Wasserbüffel. Istanbuls neuer Flughafen, einer der größten der Welt, wurde ohne ökologische Rücksicht in ein Naturschutzgebiet platziert, dem Bau sollen zahlreiche Wasserbüffel zum Opfer gefallen sein. Andererseits läuft in Istanbul technisch alles wie am Schnürchen. Nichts zu spüren von der Dysfunktionalität deutscher Airports. Istanbul mag im Dauerstau ersticken, der Luftverkehr funktioniert.

Nicht ganz so reibungslos das Verhältnis von Biennale und Polizei. Als die Veranstalter des Wasserbüffel-Festivals anrücken, bricht rund um den Flughafen Hektik aus. Polizeibusse warten, die Beamten sind nervös. Es ist ja auch nicht so einfach, zwischen einer Kunstaktion und einer politischen Demonstration zu unterscheiden. Vielleicht ist das auch gar nicht gewünscht.

Die Türkei ist keineswegs so monolithisch, wie oft dargestellt. Auch das ist eine Botschaft der Biennale. Istanbuls Bürgermeister, Ekrem Imamoglu, könnte 2023 bei den Präsidentschaftswahlen als Erdogans Konkurrent antreten. Er ist Kunstsammler.

Auf der Contemporary Istanbul, der wichtigsten Kunstmesse der Region, sagt er: „In unserer Stadt prallen traditionell-muslimische Viertel auf liberalere Communities. Aber überall gibt es Konzerte und Kunst im öffentlichen Raum. Kunst ist inklusiv – und ein Gärmittel gegen den öden Autoritarismus“.

Istanbul will eine Arche Noah sein

Es wird viel gegoren – renoviert, aktualisiert, umgestaltet. Zum Beispiel das Hamam Çinili im konservativen Stadtteil Fatih, eines der ältesten und prachtvollsten der Stadt. Jahrzehntelang lag es brach, alte Ziegel stapelten sich mannshoch. Bei der Biennale 2017 zeigte Maria Bonvicini hier noch Gürtel und Ketten für Frauen im kinky Outfit. Jetzt beherbergt das neu gestylte Hamam eine Klanginstallation, die bedrohten Musiktraditionen aus Polynesien nachgeht. Istanbul will eine Arche Noah sein.

Deshalb werden bei der Biennale viele Archive gefördert, vom türkischen Feminismus bis zur Frauenbewegung in Tibet. Für Performances wurde ein eigenes Dokumentationszentrum installiert. Manches Bunte erinnert an die Documenta. Allerdings bietet Istanbul einen glanzvolleren Rahmen als Kassel. Und es gibt mehr Hamams.

„Das sind wichtige Orte”, betont Ute Meta Bauer. „Nicht nur, weil man dort sehr persönlich mit seinem Körper präsent ist. Sondern auch, weil es Orte des Friedens sind.“ Traditionell musste jeder vor einem Hamam die Waffen ablegen, man ging unbewaffnet hinein. „Wir brauchen wieder mehr Orte, in denen die Kultur den Rahmen setzt und friedliche Dialoge stattfinden.“

Bauer ist mit ihren beiden Co-Kuratoren ein Glücksfall für die Biennale. Sie pflegt seit langem nicht nur den deutschen und europäischen Kunsthistorikerblick, mit dem man hier völlig verloren wäre. Sie lebt und unterrichtet in Singapur, hat 2002 mit Okwui Enwezor eine Documenta auf die Beine gestellt, die mit so genannten Plattformen nach Lagos, Kabul und in die Karibik zog. Und sie gehörte zur Findungskommission, die Ruangrupa als Documenta-Macher berief.

Leicht gemacht hat man es der Biennale in Istanbul nicht. Die Schecks zahlt der reichste Mann der Türkei, der Milliardär Koç, der ein unüberschaubares Imperium von Firmen und Beteiligungen besitzt. Durch die Inflation von weit über 100 Prozent wurde das Budget um ein Drittel reduziert. Dennoch versucht die Biennale 100 Prozent zu liefern.

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