Produzentin aus Kiew: „Spielfilmdrehs in der Ukraine sind kaum möglich, aber es entstehen viele Dokumenationen“
Olha Beskhmelnytsina, Sie sind seit vergangenem Jahr die Chefin der Ukrainischen Filmakademie und die erste Frau in dieser Position. Welche Aufgaben hat die Akademie?
Sie wurde gegründet, um das ukrainische Kino zu fördern und die Menschen aus der Branche zusammenzubringen. Eine ihrer Hauptaufgaben besteht darin, jährlich die besten ukrainischen Filme zu ermitteln. Derzeit sind wir auf der Suche nach zusätzlichen Partnerschaften und nach Finanzierungsquellen.
Bereits seit 2022 führt die Filmakademie zusammen mit Netflix ein Programm zur Unterstützung des ukrainischen Kinos durch. Es geht und Stipendien und zusätzliche Mittel für fast fertige Spiel- und Dokumentarfilme, die demnächst auf internationalen Filmfestivals präsentiert werden sollen.
Was tut die Akademie sonst angesichts der russischen Invasion?
Wir beobachten die russischen Aktivitäten bei der Herstellung von Filmen, die eine Bedrohung für die Ukraine darstellen. Wenn wir Filme sehen, die mit Unterstützung der russischen Regierung gedreht wurden, wenden wir uns an das Festival, auf dem sie gezeigt werden, und bestehen darauf, dass sie aus dem Programm genommen werden.
„Zwanzig Tage in Mariupol“ von Mstyslav Chernov ist als bester Dokumentarfilm für einen Oscar nominiert. Wie bewerten Sie diesen Erfolg?
Zum ersten Mal in der Geschichte des ukrainischen Kinos ist ein Film aus unserem Land in die Endauswahl der Oscar-Nominierungen gekommen. Das ist ein wichtiger Durchbruch. Vermutlich hat die Nominierung auch mit den vielen Preisen zu tun, die der Film gewonnen hat. Auf dem Festival von Sundance, wo er uraufgeführt wurde, hat er zum Beispiel den Publikumspreis bekommen. Insgesamt hat „20 Tage in Mariupol“ bis Januar 2024 über 20 Preise und 40 Nominierungen erhalten.
In der Vorkriegszeit produzierte die Ukraine erfolgreiche Filme wie die Animation „Mavka“ oder das „Kriegsdrama Mirny-21“, es gab einen regelrechten Aufschwung. Wie kann die ukrainische Filmindustrie diesen Trend fortführen?
Aufgrund des Krieges ist es sehr schwierig, in der Ukraine Spielfilme zu drehen. Während eines Drehs können bis zu hundert Personen am Set sein. Im Falle von Raketen- und Drohnenangriffen ist ihr Leben in Gefahr. Dafür ist der Produzent verantwortlich. Versicherungsgesellschaften können nur das Leben der Menschen und die Ausrüstung versichern. Den gesamten Drehprozess eines Projekts zu versichern, ist heute unmöglich, denn niemand hat je unter solchen Kriegsbedingungen gedreht wie wir. Es gibt keine verlässlichen Erfahrungswerte.
Spielfilmregisseure müssen sich deshalb momentan eher darauf verlegen, neue Geschichten zu finden und Drehbücher zu schreiben. Dokumentarfilmer, die ohne staatliche Unterstützung arbeiten, sind anpassungsfähiger an schwierige Bedingungen, so dass in diesem Jahr eine große Zahl ukrainischer Dokumentarfilme herauskommt.
Entwickeln Sie als Produzentin noch eigene Projekte, seit Sie Vorsitzende der Ukrainischen Filmakademie sind?
Ja, auf der Berlinale hat der Dokumentarfilm „Intercepted“ von Oksana Karpovych Premiere, an dem ich als Produzentin beteiligt bin. Zu Beginn der groß angelegten Invasion blieben Oksana Karpovych und ich in Kiew. Wir halfen Kollegen aus den internationalen Medien bei der Berichterstattung über die dramatischen Ereignisse, reisten viel und filmten in den östlichen Regionen der Ukraine, nahe der Frontlinie. Irgendwann wurde Oksana klar, dass sie einen Dokumentarfilm drehen wollte.
Was erhoffen Sie sich vom Festival?
Ich bin froh, dass die Weltpremiere von „Intercepted“ auf der Berlinale stattfindet, denn es ist eines der renommiertesten Filmfestivals der Welt. Da es in dem Film um den Krieg in der Ukraine geht, ist es wichtig, dass die Welt und das deutsche Publikum ihn sehen. Ich hoffe auf eine gute Berichterstattung und natürlich möchte ich, dass der Film ein Erfolg wird.