Osmanische Kunstschätze in Großbritannien: Türkei springt Griechenland im Streit um Parthenon zur Seite
Im Streit um die Kunstschätze aus dem Parthenon-Tempel in Athen hat Griechenland hochkalibrige Schützenhilfe gegen Großbritannien bekommen: Die Türkei sprang jetzt der griechischen Regierung zur Seite und dementierte die britische Darstellung, wonach die Marmorskulpturen von der Akropolis mit Genehmigung des Osmanischen Reiches nach London exportiert wurden. Ein solches Dekret der osmanischen Regierung gebe es nicht, erklärte die Leiterin des türkischen Amtes zur Bekämpfung von Kulturschmuggel, Zeynep Boz, bei einem Treffen des Unesco-Komitees zur Förderung der Rückgabe von Kulturgütern in Paris.
Die griechische Regierung begrüßte die Äußerungen der türkischen Expertin als Bestätigung ihrer Position in dem Streit mit Großbritannien, der im vergangenen Jahr zur Krise eskaliert war. Die neue Entwicklung in der Auseinandersetzung dürfte auch das Pergamon-Museum in Berlin interessieren, dessen Anspruch auf den Pergamon-Altar und andere anatolische Kulturgüter von der Türkei angezweifelt wird.
Als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches sei die Türkei im Besitz aller Archive aus jener Zeit, sagte Zeynep Boz dem Tagesspiegel; jahrelang hätten Historiker diese Archive durchsucht, doch eine Exportgenehmigung für die Parthenon-Friese sei nie gefunden worden.
Griechenland fordert die Rückgabe schon seit 1835
Die Skulpturen aus dem 5. Jahrhundert vor Christus waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts von dem britischen Diplomaten Thomas Bruce, Graf von Elgin, aus dem Parthenon-Tempel auf der Akropolis in Athen entfernt und nach London verschifft worden, wo sie später vom Britischen Museum gekauft wurden. Elgin berief sich auf eine angebliche Genehmigung des Osmanischen Reiches, zu dem Griechenland damals gehörte. Allerdings liege Experten bis heute nur ein italienisches Schriftstück vor, „das weder Unterschrift noch Siegel oder Stempel trägt“, sagte Boz; ein rechtsgültiges Dokument sei nie gefunden worden.
Griechenland fordert schon seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1835 die Rückgabe der Parthenon-Kunstschätze von Großbritannien, bisher vergeblich. Der fast 200-jährige Streit führte im vergangenen Herbst dazu, dass der britische Premierminister Rishi Sunak ein geplantes Treffen mit dem griechischen Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis platzen ließ, um nicht über das Parthenon sprechen zu müssen.
Die Wende in der Auseinandersetzung ergab sich Ende Mai bei einer Sitzung des Unesco-Komitees in Paris, als Zeynep Boz nach der Rede eines britischen Teilnehmers intervenierte. „Ich konnte dazu nicht schweigen“, sagte Boz über den Redebeitrag, der den britischen Erwerb der Parthenon-Skulpturen als rechtmäßig darstellte und auf ein entsprechendes osmanisches Dekret verwies. „Ich musste klarstellen: Wir kennen kein solches Dokument.“ Boz ist Archäologin und Abteilungsleiterin im türkischen Kulturministerium, wo sie unter anderem für die Rückholung widerrechtlich verschleppter Kulturgüter aus Anatolien in die Türkei zuständig ist.
Auch mit Berlin herrscht Gesprächsbedarf
Griechenland begrüßte ihre Intervention. Die Vertreterin der Türkei habe bei dem Unesco-Treffen bestätigt, was Griechenland seit Jahren sage, zitierte die Nachrichtenagentur AP die griechische Kulturministerin Lina Mendoni: „Es hat nie ein osmanische Dekret gegeben, das es Graf Elgin erlaubte, so brutal mit den Parthenon-Skulpturen umzuspringen.“ Griechenland werde sich weiter um die Rückgabe der Skulpturen bemühen, für die ein Platz im Akropolis-Museum in Athen freigehalten wird.
Ebenso wie Griechenland fordert auch die Türkei die Rückgabe von Kulturgütern aus der Zeit des Osmanischen Reiches von mehreren Staaten, darunter von Deutschland und Österreich. Ankara zieht die deutsche Haltung in Zweifel, wonach der Pergamon-Altar mit Genehmigung der osmanischen Behörden nach Berlin geschafft wurde. Hierzu seien Dokumente in den Archiven gefunden worden, die der deutschen Argumentation widersprechen würden, sagte Boz dem Tagesspiegel; demnach wurden zumindest Teile des Altars nach Berlin gebracht, bevor es eine Genehmigung gab.
Auf die erbetene Stellungnahme aus Deutschland zu diesen neuen Erkenntnissen warte sie bisher vergeblich, sagte Boz. Zudem warte ihr Ministerium seit zehn Jahren auf eine Einladung aus Berlin zur nächsten Runde von Expertengesprächen über die Rückgabe einer Reihe von Kulturgütern, darunter eine Statue aus dem antiken Aphrodisias in der Westtürkei und ein Sarkophag aus Konya. Wenn bilaterale Bemühungen auch weiterhin erfolglos bleiben, will die Türkei die Unesco anrufen, um die Herausgabe ihrer Kulturgüter zu fordern.