„Merkel hat sich nie durch Eitelkeit verführen lassen“
Die Raute kommt 1998 ins Bild. Ohne Vorsatz. Einfach als spontane Geste einer Politikerin, die nach einer guten Haltung sucht. Das erzählt ihre Fotografin Herlinde Koelbl bei der Vorbesichtigung der Ausstellung „Angela Merkel Portraits 1991-2021“ im Deutschen Historischen Museum.
Auch nach dem Ende der Amtszeit der ersten deutschen Kanzlerin, die 2021 freiwillig aus dem Amt schied und seither die Öffentlichkeit meidet, ist das Interesse an ihr groß, wie der Presseauftrieb zeigt. Vielleicht gerade deswegen, weil eine der meist abgebildeten Frauen der Welt, jetzt konsequent Unsichtbarkeit sucht.
Als Privatperson meidet die Ex-Kanzlerin die Öffentlichkeit
Ob es sie nicht interessieren würde, Angela Merkel weiter zu fotografieren und sie nach einer Einschätzung ihrer Politik im Licht der aktuellen politischen Lage in Europa zu fragen, wird die Fotografin gefragt. Da lächelt Koelbl. „Merkel wird jetzt nichts sagen.“
Sie dränge sich als Privatperson nicht ans Licht und werde sich hüten, ihre politischen Nachfolger zu bewerten. Selbst die ihr gewidmete Ausstellung werde sie nicht besuchen, prophezeit Koelbl. „Obwohl ich ihr einen Brief geschrieben und sie zu einer persönlichen Führung eingeladen haben“.
Dreißig Jahre hat Herlinde Koelbl, die zu den bedeutenden Porträtfotografinnen der Gegenwart zählt, Angela Merkel mit der Kamera begleitet. „Wir haben verabredet, dass ich das nicht erzähle und die Fotos erst veröffentliche, wenn Merkel nicht mehr Kanzlerin ist“, sagt Koelbl.
Sie verbucht es als Ausweis von Merkels Souveränität, dass ihr die Politikerin niemals in ihre Motivauswahl hineinredete oder gar ein Foto sehen wollte. „Im Gegensatz zu vielen männlichen Politikern ist Merkel nicht eitel.“
Sie habe sich nie durch Eitelkeit verführen lassen. Koelbls einzigartige Langzeitbeobachtung ist die Fortsetzung von Koelbls Projekt „Spuren der Macht“, in dem sie 1999 bereits die professionelle Deformation von Amtsträgern zum fotografischen Thema machte. Merkel gehörte damals genau wie Joschka Fischer und Gerhard Schröder zu den fünfzehn Menschen in öffentlichen Positionen, die Koelbl über Jahre fotografierte.
[Deutsches Historisches Museum, Pei Bau, 2. OG, 29.4. bis 4.9., Mo-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr]
Nur, dass Koelbl mit ihrem ausgeprägten Gespür für Menschen und Fotoobjekte, Merkel dann weiter begleitet und sie außer in deren Zeit als CDU-Generalsekretärin jedes Jahr fotografiert hat. Eine Aufmerksamkeit, die Merkel als erste Frau, Ostdeutsche und Naturwissenschaftlerin im Kanzleramt und prägende Gestalt der europäischen Geschichte verdient hat. Egal, wie die Geschichte dereinst ihre Politik beurteilt, die angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine gerade in der Kritik steht.
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Die Ausstellung im zweiten Stock des Pei-Baus teilt die Fotografien von 1991 bis 2021 in zwei Abschnitte: die Ministerinnen und die Kanzlerinnenjahre. Das strenge Konzept der Fotografieren ist schon aus „Spuren der Macht“ bekannt. Koelbl verzichtet auf die Inszenierung der Macht durch deren Insignien. Keine Sessel, Fahnen, Schreibtische, Repräsentationsräume. Die Merkel-Fotos sind keine Fortsetzung klassischer Hofmalerei mit modernen Mitteln.
Eher das Gegenteil, so betont demokratisch wie der weiße Hintergrund und eine x-beliebige Sitzgelegenheit wirken. Zumal die Fotografin auf Regieanweisungen jeder Art verzichtete. Und Angela Merkel auf ausgestellte Posen. Stehen, sitzen, schauen, vielleicht lächeln, fertig. Trotzdem besitzen die intimen, stillen Porträts durchaus einen respektvollen Gestus.
Beim Fotografieren entsteht eine Vertrauensbeziehung
Der verstärkt sich nochmal, wenn man Herlinde Koelbl dabei zuhört, wie sie die erstaunliche Karriere der 1991 als Bundesministerin für Frauen und Jugend in höchste Staatsämter gestarteten Merkel preist. Dass in den Jahrzehnten der Begegnung vor und hinter Kamera eine Vertrauensbeziehung entstanden ist, ist unübersehbar.
Koelbl kombiniert die Fotografien mit prägnanten Zitaten der Ministerin und Kanzlerin. Außerdem sind Auszüge von Interviews zu hören, die Koebl mit Merkel in deren Anfangsjahren geführt hat. In jener Zeit erzählt sie noch Persönliches, was sie mit dem Amtsantritt als Kanzlerin 2006 schlagartig einstellt.
Was habe ich verlernt, fragt sich Merkel
Auch die jugendlich und rührend ungelenk wirkende Körpersprache der zu Beginn 37-Jährigen wird in den Kanzlerinnenjahren deutlich statuarischer, kontrollierter. Der Blick dafür souveräner, kontrollierter, offiziöser. Spuren der Erschöpfung zeichnen sich neben denen des Alterns ab. Das ist im Gesicht einer Kanzlerin nicht anders, als in jedem Menschengesicht.
„Was habe ich gelernt?“, fragt sich Angela Merkel schon 1994, wie ein Zitat dokumentiert. „Ich glaube, dass es mir heute leichter fällt, Entscheidungen zu treffen. Übrigens wäre die Frage, was ich in dieser Zeit, verlernt habe, mindestens genauso spannend.“ Für Herlinde Koelbl ist das eine Schlüsselerkenntnis in Bezug auf den Beruf. Zwar gewinne man Macht, aber man verliere auch etwas, ist die Fotografin überzeugt. Politiker zahlten sowohl einen physischen als auch einen geistigen Preis. Beim Blick in Angela Merkels Augen scheint er vertretbar.